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- Reichsbürger um Prinz Reuß
Vom Putschversuch zum »Rollenspiel«
Vor Gericht mimt die im Münchner Reichsbürger-Prozess angeklagte Susanne R. die Naive
Je länger die Befragung dauert, desto stärker verfestigt sich der Eindruck: Den berühmten Pudding an die Wand zu nageln, wäre dagegen ein Kinderspiel. Melanie R. soll mit dem Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß an dessen Plänen für einen Reichsbürger-Putsch gefeilt haben. Die Ärztin aus Niedersachsen gehört zu den acht mutmaßlichen Mitverschwörer*innen, die sich in München vor dem Oberlandesgericht verantworten müssen. Gegen 18 weitere Männer und Frauen wird in Frankfurt und Stuttgart verhandelt.
Zwei Tage lang hatte die 58-Jährige im Februar eine Einlassung zur Anklage vorgelesen, 351 Seiten, auf denen viel über Stimmungen und Schwingungen zu erfahren war. Als überzeugte Demokratin stellte sich Melanie R. dar, die Neonazis und Reichsbürger verabscheue. Nicht einmal mit Corona-Leugnung will sie etwas zu tun gehabt haben. Und auch der Parallelwelt aus Verschwörungsmythen in den sozialen Medien habe sie sich lange entzogen: Erst im Mai 2022, gut ein halbes Jahr, bevor sie und ihre Mitangeklagten verhaftet wurden, habe sie sich bei Telegram angemeldet.
Wie kommt so jemand dazu, sich Menschen anzuschließen, die einen Angriff auf den Bundestag geplant haben sollen? Die mit dem Aufbau bewaffneter »Heimatschutzkompanien« begonnen und über Hinrichtungen geredet haben sollen?
Am Mittwoch begann der Münchner Staatsschutzsenat mit der Befragung. Bereitwillig antwortet Melanie R., wortreich, freundlich. Klarer wird dadurch wenig – wenn man sich nicht unbedingt dafür interessiert, was der Unterschied zwischen Esoterik und Spiritualität sein soll.
»Ich habe völlig überkandidelt die Welt schöngeredet.«
Melanie R. Angeklagte Ärztin
Von den Belastungen als Hausärztin in der Corona-Pandemie erzählt Melanie R., von einem Burnout und Depressionen, vom nahenden Tod ihrer Mutter. »Ich habe völlig überkandidelt die Welt schöngeredet«, sagt sie. Die Einladungen von Reuß auf sein Jagdschloss in Thüringen hätten sie aufgeheitert, die »Spinnereien« dort habe sie nicht ernst genommen. Und der »Rat«, laut Bundesanwaltschaft die designierte Putschregierung, in der Melanie R. das Gesundheitsressort übernehmen sollte? Wie ein Rollenspiel sei ihr das vorgekommen.
Viel bleibt im Gefühlten, im Gefühligen. Wird sie nach einzelnen Mitangeklagten gefragt, fällt ihr ein, dass sie »sympathisch«, »elegant« oder »fürsorglich« gewesen seien. Geht es um ihre eigene Rolle, erscheint sie mal als die Naive, die Mitangeklagten insgesamt 46 350 Euro gab, angeblich als private Darlehen, und nicht geahnt haben will, dass davon zum Beispiel ein Schießtraining bezahlt worden sein soll, und mal als kritischer Geist. Hartnäckig habe sie dem Mitangeklagten Thomas T., der sich für einen »Seher« hält und die militärische Erstürmung des Bundestags vorhergesehen haben will, beizubringen versucht: Eine Vision sei keine Prophezeiung. Allenfalls, das räumt sie ein, eine sich selbst erfüllende.
Und sie erzählt von einem Treffen des Rats im August 2022, das sie ihre »Nacht des Erwachens« nennt. Da habe ihr ein Mitverschwörer sturzbetrunken angedroht, dass auch sie eines Tages »gehängt« werde. Weil sie zum »System« gehöre und gegen Corona geimpft habe. Seitdem habe sie nur noch so getan, als sei sie weiter mit an Bord.
Stattdessen habe sie im Geheimen recherchiert, was es mit den kolportierten Verschwörungserzählungen rund um einen angeblich weltweit bevorstehenden Endkampf zwischen Gut und Böse auf sich hat. Und festgestellt: »Alles Stuss.« Wie nebenbei erklärt sie damit auch, warum die Ermittler*innen auf ihrem Computer massenhaft Einschlägiges fanden – von Reichsbürger-Pamphleten über »QAnon«-Propaganda bis zu der antisemitischen Hetzschrift »Die Geheimnisse der Weisen von Zion«.
Die Befragung von Melanie R. dürfte noch einige weitere Verhandlungstage in Anspruch nehmen. Der Senat ist dabei seit Dienstag allerdings dünner besetzt. Einer der zwei Ergänzungsrichter*innen, die im Falle eines längeren Krankheitsausfalls im Senat einspringen zu können, wurde von der Verteidigung erfolgreich wegen Befangenheit abgelehnt. Der Richter hatte während der Verhandlung in der vergangenen Woche im Internet gesurft – und sich verraten, weil plötzlich ein Video gestartet war. In voller Lautstärke.
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