USA unter Trump: Die Stunde der Wissenschaftsfeinde

Alex Demirović stellt fest, dass auch aus der Mitte einer zweihundertjährigen Demokratie heraus Aufklärung in Gegenaufklärung umschlagen kann

Blick der kapitalistischen Menschheit auf den Exoplaneten HD 189733b, 63 Lichtjahre von der Erde entfernt
Blick der kapitalistischen Menschheit auf den Exoplaneten HD 189733b, 63 Lichtjahre von der Erde entfernt

Im Vorwort zum »Kapital« weist Marx darauf, dass die bürgerliche Gesellschaft eine ist, die nicht wissen will, was sie tut. Sie ziehe die Nebelkappe tief über Augen und Ohren, um die Existenz der Ungeheuer wegleugnen zu können, die sie erzeugt.

Eine widersprüchliche Bewegung ist zu beobachten. Die bürgerliche Gesellschaft hat die Wissenschaften und insbesondere die sozialwissenschaftliche Erkenntnis wie keine Gesellschaft zuvor entwickelt. Mussten Menschen in historischen Gesellschaften glauben, dass Gott und Teufel die Menschen beobachteten und bewerteten, Geister, Elfen oder Hexen ihr Unwesen trieben, schaut die kapitalistische Menschheit mit dem Fernrohr zu den fernsten Sternen, mit dem Mikroskop tief zu den kleinsten Lebewesen. Ohne die Wissenschaften hätten sich Unternehmen nicht entwickeln können, der Reichtum der Kapitaleigentümer basiert auf immer neuer wissenschaftlicher Erkenntnis: der Ingenieurwissenschaften, der Techniken der Energieerzeugung, des Transports, der Chemie, der Genetik, den Kommunikationstechnologien.

Alex Demirović

Alex Demirović stammt aus einer jugoslawisch-deutschen Familie; der Vater wurde von den Nazis als Zwangsarbeiter verschleppt. Wegen eines politisch motivierten Vetos des hessischen Wissenschaftsministeriums durfte Demirović in Frankfurt nicht Professor werden. Seitdem bewegt er sich an der Schnittstelle von Theorie und Politik. Jeden vierten Montag im Monat streitet er im »nd« um die Wirklichkeit.

Mit den Mitteln der Statistik, der Ökonomie, der Soziologie beobachtet die moderne kapitalistische Gesellschaft sich selbst bis in kleinste Gefühlsregungen, Gewohnheiten, Regelmäßigkeiten hinein kontinuierlich. Dieses Wissen ermöglicht Planung und Kontrolle durch Unternehmen und Regierungen. Dazu wurden eine Vielzahl von immer weiter ausdifferenzierten Bildungseinrichtungen geschaffen, eine Vielfalt von Fachgebieten und interdisziplinären Forschungszusammenhängen – viele davon weit über nationale staatliche Grenzen hinweg. Denn die Wissensproduktion ist teuer; es braucht häufig komplexe Apparaturen und Forschungsprogramme, die über Jahre verfolgt werden müssen, die Wissenschaftler*innen müssen kooperieren und sich austauschen können. Deswegen gab und gibt es die Anstrengungen von Regierungen, Hochschulen, Wissenschaftsverbänden, die Kenntnis von Wissenschaftskulturen durch Studierendenaustausch zu ermöglichen, an der Wissensproduktion über Grenzen hinweg teilzuhaben, die Zusammenarbeit zu fördern. Die Erzeugung von Wissen ist ein Menschheitsprojekt. Soziologisch wurde deswegen Wissenschaft auch als System verstanden, das keine nationalstaatlichen Grenzen kennt.

Da wissenschaftliche Erkenntnisse häufig speziell sind, ihre Übersetzung in Anwendung selbst besondere Kenntnisse erfordert, hat sich um die Staatsapparate herum und durch sie gefördert, in den vergangenen Jahrzehnten ein großer Kranz von zivilgesellschaftlichen Organisationen gebildet: NGOs, freie Institute, Verbände, Think Tanks, Beratungsunternehmen. Die Wissenschaftler*innen ebenso wie ihre Verbände und wissensbasierten Organisationen stellen Anforderungen an unternehmerisches und politisches Entscheiden, sie verlangen zu Recht, dass die öffentliche Willensbildung und Entscheidungsfindung sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Das ist nicht immer leicht, denn auch in den Wissenschaften gibt es kontroverse Ansichten. Nicht immer gibt es genügend Zeit, darauf zu warten, dass die Forschung zu validen Erkenntnissen führt. Doch die Unternehmen und die Politik wollen sich offensichtlich nicht durch Wissenschaft und Wahrheit binden lassen.

Es gibt also eine Gegentendenz. Die bürgerliche Gesellschaft tendiert auch zum Abbau von Rationalität. Konservative Regierungen verfolgen seit Längerem eine Politik, die NGOs und das Beratungswissen zu begrenzen, indem sie ihre Förderung zurückfahren oder einstellen. Wissenschaftliche Gutachten und Gremien werden übergangen. Es kommt mit der Extremismusklausel zu einschränkenden Maßnahmen gegenüber staatlich geförderten Demokratieaktivitäten, die Demokratieförderung durch staatliche Unterstützung von antifaschistischen Organisationen wird beschränkt, entsprechendes antifaschistisches Engagement wird ignoriert, öffentlich heruntergeredet oder kriminalisiert. Warnungen von Umweltwissenschaftler*innen oder von Expert*innen für KI werden in den Wind geschlagen. Umweltaktivitäten von NGOs und Bewegungsorganisationen werden politisch und polizeilich bekämpft und in die Nähe von terroristischen Vereinigungen gerückt.

Die Politik der Regierung Orbán hat gesellschaftskritische, hat Geschlechterforschung verunmöglicht und Wissenschaftler*innen aus dem Land vertrieben. Die Regierung unter Trump eskaliert die Verfolgung von Wissenschaften bis zur Zerstörung. Universitäten entlassen aufgrund von politischem Druck einzelne Wissenschaftler*innen. Die Politik der Anerkennung von Minderheiten, von Gleichheit, von Förderung wird aufgegeben. Trumps Entscheidungen, bestimmte Wörter wie »gender« oder »women« zu verbieten, bedeuten, dass Forschungen nicht weiterverfolgt werden können, dass die Bibliotheken von unliebsamer Literatur gesäubert werden. International vernetzter medizinischer Forschung wird durch drastische Mittelkürzungen ein schwerer Schlag versetzt. In besonderer Weise fatal wird sich die Beseitigung der Forschungen in den ökologischen Bereichen auswirken, also Klima, Biodiversität, Wasser. Diese Forschungen sind unerlässlich, um die weiteren Entwicklungen einschätzen zu können.

Es ist in gewisser Weise gut, dass die Hegemonie der USA im Bereich der Wissenschaften einem Ende entgegengeht. Wissenschaft sollte tatsächlich ein offener, menschheitlicher Prozess sein. Doch was jetzt geschieht, ist keine positive Überwindung der Vormachtstellung eines Landes. Gerade weil die USA auch in den Wissenschaften eine solche Macht verkörperte, kommt es nun zu Verlusten an Wissen, die schwer wettzumachen sind. Die Gesellschaften gehen in den Blindflug über und belügen sich selbst: Weil sie die Wörter verbieten, die Produktion kritischen Wissens einschränken, glauben sie, die Gefahren seien gebannt. Es ist irre, dass ein Präsident glaubt, qua Amt ein Definitionsmonopol über die Identität von Individuen, Wahrheit, Demokratie und Freiheit zu haben, und er und die wenigen um ihn herum, die Gefolgsleute und Opportunisten wüssten es besser als all die vielen, die Jahre und Jahrzehnten ihres Lebens in diese Forschungen investieren.

Konnte man lange glauben, dass solche Prozesse in einer wenig gefestigten Demokratie der Weimarer Republik stattfinden konnten, erfahren wir nun, dass der Umschlag von Aufklärung in Gegenaufklärung auch aus der Mitte einer zweihundertjährigen Demokratie erfolgen kann. Es ist der Kapitalismus – stupid.

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