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- Prozess am OLG Celle
Daniela Klette vor Gericht
Angeklagte kündigt Prozesserklärung an, ihre Verteidiger erhalten nicht alle Akten
Wenn am Dienstag, dem 25. März in Celle der Prozess gegen Daniela Klette eröffnet und die Anklage verlesen wird, ist schon viel passiert, was es in einem gewöhnlichen Gerichtsverfahren niemals gegeben hätte. Seit Wochen berichten die Medien sensationslüsternd über Anekdoten aus dem Leben der Angeklagten. Häppchenweise gab etwa der »Spiegel« im Januar und Februar Informationen aus der Anklageschrift preis: An welchen Orten sich die Angeklagte aufgehalten habe, welche Waffen und Munition in ihrer Wohnung gefunden worden seien und welche davon aus Sicht der Ermittler*innen auf Tatorte der Raubüberfälle hinwiesen. Dazu übernimmt der »Spiegel« Spekulationen der Staatsanwaltschaft, wie beispielsweise, dass Daniela Klette in ihrer Zeit im Untergrund Kontakte zum ehemaligen RAF-Aktivisten Christian Klar gepflegt hätte, weil der nach Absitzen seiner Gefängnisstrafe in ihrer Nähe in Berlin-Kreuzberg gewohnt habe.
Öffentliche Vorverurteilung
Vermutlich waren es Mitarbeiter*innen der Ermittlungsbehörden in Niedersachsen, die diese Informationen an die Presse lanciert haben. Sie tragen zur Stimmungsmache bei, suggerieren eine Bösartigkeit der Angeklagten, was einer öffentlichen Vorverurteilung gleich kommt.
Das niedersächsische LKA führt die Ermittlungen, weil einige Raubüberfälle in dem Bundesland stattfanden. Daniela Klette und die beiden weiterhin untergetauchten Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub werden beschuldigt, diese Überfälle ausgeführt zu haben. Insgesamt sollen von dem Trio in den 2010er Jahren vor allem in Großmärkten über zwei Millionen Euro erbeutet worden sein.
Als »Enteignungsaktionen« bewertet das die linke Bewegung, die sich mit Daniela Klette solidarisch zeigt und anlässlich des Prozessbeginns zu einer Kundgebung vor das Oberlandesgericht in Celle aufruft. Die Sympathien in der Linken für Gelddiebe haben Tradition. Erinnert sei beispielsweise an das vor 25 Jahren erschienene Buch »VaBanque«, in dem mit Faszination die »Theorie, Praxis, Geschichte« des Bankraubs vorgestellt wird.
Zum Gefallen dürfte heute außerdem beitragen, dass die Geldräuber mit den Beschäftigten in den Kassenbüros der Großmärkte respektabel freundlich umgegangen sind, so die Zeugenaussagen. In ruhigem Ton versuchten sie die Situation zu entspannen: »Wir wollen nur das Geld.« Und abschließend verabschiedeten sie sich – wie Gentlemen – höflich grüßend. Darüber haben »Spiegel« und andere Presseorgane bislang nicht berichtet, womöglich weil freundliche Räuber nicht ins Bild der üblichen Medienhetze passen.
Keine Kosten und Mühen gescheut
Die Anklageschrift umfasst knapp 700 Seiten und führt eine dreistellige Anzahl von Zeugen auf. Das zeigt, dass im Fall Daniela Klette sehr viel Aufwand betrieben wird. Über 50 Verhandlungstage sind für 2025 angesetzt, und es ist davon auszugehen, dass der Prozess bis weit ins Jahr 2026 hinein laufen wird. Er findet in einem Hochsicherheitssaal in Celle statt, in dem nur 28 Journalist*innen und weniger als halb so viele Besucher*innen Zutritt haben.
Die Plätze für die Presse wurden verlost, das »nd« hatte dabei keinen Sitz im Verhandlungssaal zugesprochen bekommen. Das soll sich jedoch ab 28. Mai ändern. Nach Medienberichten wird dann das Gerichtsverfahren in eine umgebaute Reithalle nach Verden verlegt. Die Kosten für das neue Prozessgebäude, das nur für dieses eine Verfahren genutzt werden wird, seien für das Land immens, spekulieren lokale Medien. In keinem anderen Fall wäre wegen zehn Jahre zurückliegender Raubüberfälle so ein großes Brimborium veranstaltet worden.
Verteidigung moniert »Dämonisierung«
Aber hier geht es um die Person Daniela Klette und ihre Geschichte als Teil einer deutschen Stadtguerillagruppe. Obwohl Klette gar nicht wegen Taten der RAF angeklagt und obwohl eine vermeintliche Mitgliedschaft in der RAF längst verjährt ist, steht dieser Aspekt unausgesprochen im Raum. In der Medienberichterstattung, wo von einer »RAF-Terroristin« die Rede ist, bei den Ermittlern, aber auch bei der Justiz und den Richter*innen spielt dieser Hintergrund eine zentrale Rolle, was sich auch an den angekündigten hohen Sicherheitsvorkehrungen bei den Gerichtsverhandlungen zeigt.
In einem Interview mit der »Taz« haben die Anwält*innen von Daniela Klette am Wochenende Kritik an der Staatsanwaltschaft sowie der medialen »Dämonisierung« geäußert. Die aktuellen Raub-Vorwürfe dürften nicht mit ihrer angeblichen RAF-Vergangenheit vermengt werden. Zudem gebe es keine Beweise für Klettes direkte Beteiligung an den Tatorten oder ihre genaue Rolle bei den Überfällen.
Die Verteidigung bemängelt außerdem, dass sie erst kurz vor Prozessbeginn umfangreiche Akten erhielt – würden diese ausgedruckt und nebeneinander gestellt, ergebe sich eine Strecke »von Berlin bis München«. Schließlich betonen die Anwält*innen in dem Interview, dass sich Klette über die vielen Solidaritätsbekundungen seit ihrer Festnahme freue. Die Angeklagte werde am ersten Verhandlungstag eine Erklärung abgeben und »kämpferisch« auftreten, heißt es weiter.
Die Ermittlungen gegen Daniela Klette beinhalten noch weitere Besonderheiten. Das LKA hat sich für teures Geld die Software »Pathfinder« der israelischen Firma Cellebrite zugelegt, wie »nd« exklusiv berichtete. Sie basiert auf künstlicher Intelligenz und kann deshalb beträchtlich mehr unstrukturierte, also nicht vorsortierte Daten verarbeiten, als dies einzelnen Menschen möglich wäre.
Da dieses Werkzeug nur von Seiten der Ermittlungsbehörden – und damit nicht von allen Prozessbeteiligten – frei genutzt werden kann, kann von einem fairen Verfahren nicht die Rede sein. Nun sind die Anwälte von Klette damit konfrontiert, ihre Mandantin gegen eine undurchschaubare KI verteidigen zu müssen.
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