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Pascal Meiser: Berliner Überraschungssieger zurück im Bundestag

Pascal Meiser nahm den Grünen den gepachtet geglaubten Wahlkreis von Friedrichshain-Kreuzberg ab

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Kann nach einem Jahr Pause wieder im Bundestag nachfragen: Linke-Politiker Pascal Meiser
Kann nach einem Jahr Pause wieder im Bundestag nachfragen: Linke-Politiker Pascal Meiser

Wenn sich an diesem Dienstag der neue Bundestag konstituiert, gehört Pascal Meiser (Linke) offiziell wieder zu den Abgeordneten. Weil die 2021 zeitgleich abgehaltenen Wahlen zum Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus im Chaos versunken waren, musste die Abgeordnetenhauswahl im Februar 2023 komplett wiederholt werden und die Bundestagswahl im Februar 2024 in einem Teil der Berliner Wahlbezirke. Durch diese Wiederholungswahl vor einem Jahr hatte Pascal Meiser sein Bundestagsmandat verloren. Die Linke hatte sich gerade in einer Schwächephase befunden und nicht mehr stark genug abgeschnitten.

Doch bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar eroberte der jetzt 50-Jährige sein Mandat auf eindrucksvolle Weise zurück. Die schon totgesagte Linke hat sich mit bundesweit 8,8 Prozent zurückgemeldet, die Berliner Linke lag sogar erstmals vor allen anderen Parteien. Nicht nur verteidigte Gregor Gysi seinen Wahlkreis, Ines Schwerdtner konnte in Lichtenberg an die früheren Erfolge von Gesine Lötzsch anknüpfen und darüber hinaus gewann mit Ferat Koçak in Neukölln ein Linker in Westberlin einen Bundestagswahlkreis. In keinem Gebiet, das in den Zeiten der deutschen Teilung zu Westberlin oder Westdeutschland gehörte, war dies zuvor jemals gelungen.

Bei diesen Triumph ging fast ein wenig unter, dass Pascal Meiser etwas beinahe Vergleichbares schaffte. Denn sein Wahlkreis besteht aus dem alten Westberliner Bezirk Kreuzberg und dem alten Ostberliner Bezirk Friedrichshain, die 2001 fusionierten. Dazu gehört mit Prenzlauer Berg-Ost noch ein Stück vom Bezirk Pankow zu diesem Ost-West-Wahlkreis. Auch diesen einen von bundesweit nur zwei Ost-West-Wahlkreisen hatte vorher noch nie ein Sozialist gewonnen. Selbst in den besten alten Zeiten, als die Partei in den Jahren 2001 bis 2013 erst mit Bärbel Grygier und dann mit Cornelia Reinauer die Bezirksbürgermeisterin stellte, hatte es das nicht gegeben.

Das hing mit dem legendären Rechtsanwalt und Politiker Christian Ströbele (Grüne) zusammen. Doch auch als Ströbele 2017 im Alter von bereits 78 Jahren nicht wieder antrat – gestorben ist er dann 2022 –, schienen die Grünen diesen Bundestagswahlkreis für sich gepachtet zu haben.

Wie es sein konnte, dass Pascal Meiser diesen Irrglauben widerlegte, darüber wurde seit dem 23. Februar viel nachgedacht und geschrieben. Dass dabei aber der Fokus darauf gelegen habe, was die Grünen falsch gemacht haben, stört die Linke-Bezirksvorsitzende Kerstin Wolter. Sie hat reagiert und auf drei Seiten aufgeschrieben, was ihr Bezirksverband richtig gemacht habe. Demnach ist der Sieg von Meiser ein Ergebnis »jahrelanger Kleinstarbeit« der Mitglieder in Initiativen, Elternvertretungen, Mieterbeiräten und Sportvereinen. Die Linke habe außerdem mit Sozial- und Mietenberatungen konkret geholfen und bezahlbare Mieten zu ihrem Schwerpunkt in einem Wahlkampf gemacht, in dem Meiser selbst und seine vielen Helfer an 15 000 Haustüren klingelten.

»Die Erwartungen sind groß, nicht nur bei denen, die uns gewählt haben.«

Pascal Meiser (Linke) Bundestagsabgeordneter

»Alle gehen nach rechts, wir nicht«, ist für Wolter ein weiteres Erfolgsgeheimnis. Das Ergebnis sei auch eine Quittung für den Sparkurs des schwarz-roten Berliner Senats. Wolter vergisst nicht zu erwähnen, dass die Partei mit Pascal Meiser einen Kandidaten aufgestellt hatte, der im Wahlkreis seit Jahren fest verankert sei. Er lebt im alten Kreuzberger Postzustellungsbezirk SO 36, machte sich aber weit darüber hinaus einen Namen. Meiser selbst weiß, dass er es allein nicht geschafft hätte. Er bedankt sich bei einem Treffen am Freitagabend im nd-Gebäude ausdrücklich bei allen Genossen, die ihm geholfen haben. Insgesamt 97 000 Flyer und 28 000 Wahlkampfzeitungen konnte er schließlich nicht allein verteilen.

In anderen Berliner Wahlkreisen wie Neukölln strömten Helfer aus dem gesamten Bundesgebiet herbei, »wir haben das ganz allein geschafft«, lobt Meiser das Engagement. »Die Erwartungen sind groß«, blickt er nun nach vorn. Nicht nur die Wähler der Linken, auch andere Einwohner setzten Hoffnungen in die Partei, sagt Meiser. Früher habe der Wahlkreis mehrere Abgeordnete verschiedener Parteien in den Bundestag entsandt – nun müsse er ihn allein vertreten. Die Linke werde auf der Seite der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung und der Bezieher von Sozialleistungen stehen und sich »mit dem großen Geld, mit dem Kapital anlegen«, verspricht Pascal Meiser.

Wie es nun weitergehen soll, insbesondere mit Blick auf die Abgeordnetenhauswahl 2026, berät der Bezirksverband am Freitagabend mit vielen interessierten Mitgliedern im nd-Hochhaus am Franz-Mehring-Platz. So wie bundesweit gab es auch in Friedrichshain-Kreuzberg eine Eintrittswelle. Mehr als 2100 Mitglieder zählt der Bezirksverband jetzt. Die Anwesenden werden nach Bundesländern aufgerufen – und es zeigt sich, dass sie aus allen Teilen der Bundesrepublik stammen. Als das Saarland genannt wird, aus dem Meiser stammt, steht er nicht allein auf. In der Weltstadt Berlin nicht verwunderlich, kommen Mitglieder sogar aus dem Ausland. Einige sind in Italien geboren, in Rumänien, Österreich, Ungarn, Brasilien oder Ecuador.

Manche sind schon Jahrzehnte in der Partei, andere erst im vergangenen Jahr oder sogar erst vor wenigen Wochen eingetreten. Im Oktober stieß Saadet Ekşi dazu. Sie ist in Kreuzberg geboren, hat türkische Wurzeln und musste erleben, wie einer wie ihr Steine in den Weg gelegt werden, wenn sie nicht dem Idealbild einer Deutschen entspricht. Die 27-Jährige hatte schon länger überlegt, sich politisch zu engagieren. Den letzten Anstoß haben die erneute Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und der Bruch der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP gegeben, sagt sie. Ekşi ist Sozialarbeiterin und inzwischen in der Wissenschaft tätig. Im nd-Gebäude gesellt sie sich zu der Arbeitsgruppe, die sich mit Asyl und Migration befasst.

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