Berlin: Keine neuen Therapieplätze in Sicht

Nach Gerichtsurteil kann Berufungsausschuss für Ärzte und Psychotherapeuten nicht sagen, wann dieses umgesetzt wird

  • Leonie Hertig
  • Lesedauer: 3 Min.
Mentale Gesundheit – Berlin: Keine neuen Therapieplätze in Sicht

Einen Psychotherapie-Platz in Berlin zu finden, entspricht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Oder dem Finden einer bezahlbaren Wohnung in Mitte. Das sollte basierend auf einem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg geändert werden. Aber: Der Berufungsausschuss für Ärzte und Psychotherapeuten, gegen den geklagt wurde und der verloren hatte, verweigert jegliche Stellungnahme, wie und wann das Urteil umgesetzt wird.

Das Gericht entschied im Dezember 2024, dass der Ausschuss eine neue Bewertung vornehmen müsse, um den tatsächlichen Bedarf an Psychotherapie in Berlin zu ermitteln. Zuvor hatte ein Verhaltenstherapeut geklagt, der bislang keine Kassenzulassung erhalten hat, weil es in seinem Gebiet in Wedding keine freien Kassensitze gibt, und er deshalb als privater Therapeut behandeln muss.

Dabei ist der Bedarf an Therapie für gesetzlich Versicherte durchaus gegeben: Der Verhaltenstherapeut hatte überwiegend kassenärztliche Patient*innen durch das Kostenrückerstattungsverfahren behandelt. Ein Kostenrückerstattungsverfahren ist eine Abrechnungsmethode der gesetzlichen Krankenkassen. Dieses können Patient*innen nutzen, nachdem sie bewiesen haben, dass sie keinen Therapeuten mit Kassenzulassung finden konnten und deshalb auf private Therapeut*innen ausweichen müssen.

Der klagende Therapeut hatte eine Sonderbedarfszulassung bei den Krankenkassen beantragt. Diese erlaubt, zusätzliche kassenärztliche Therapeuten zuzulassen, wenn Patient*innen ansonsten nicht behandelt werden können. Für die Genehmigung ist der Berufungsausschuss für Ärzte und Psychotherapeuten zuständig, welcher die Berechnung und Planung des Bedarfs an Kassensitzen vornimmt. Der Ausschuss entschied gegen die Sonderbedarfszulassung und begründete das damit, dass der Bedarf an Therapieplätzen gedeckt sei. Dagegen hatte der Therapeut geklagt.

Im Dezember 2024 gab das Gericht dem klagenden Therapeuten recht. In seinem Urteil begründete es die Entscheidung unter anderem damit, dass allein die hohe jährliche Zahl der Kostenrückerstattungsverfahren darauf hindeutet, dass Berlin unterversorgt sei.

Dem stimmte die Berliner Psychotherapeutenkammer zu. Sie meldete, dass 99 Prozent aller Berliner Psychotherapeut*innen voll ausgelastet seien. Zusätzlich warten 5000 Patient*innen bei der Terminvermittlung darauf, einen Platz zu finden.

Pilar Isaac-Candeias, Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer Berlin, freut sich über das Gerichtsurteil. Es sei gut, wenn »jetzt Bewegung reinkommen« würde, kommentierte sie in einer Presseerklärung. »Hier wählen sich die Hilfesuchenden die Finger wund.« Die Situation sei für Patient*innen sowie Psychotherapeut*innen absolut belastend, sagte auch die Präsidentin der Kammer, Eva-Maria Schweitzer-Köhn, zu »nd«.

Welche Schritte wurden bisher gegangen, um das Urteil umzusetzen? Wann wird der tatsächliche Bedarf an Psychotherapeut*innen in Berlin ermittelt und veröffentlicht? Vier Monate nach dem Urteil kontaktierte »nd« die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin und den Berufungsausschuss. Die KV wies zuerst darauf hin, dass der Berufungsausschuss eine eigenständige Behörde sei und die KV daher »über die zeitliche Umsetzung des Urteils keine Aussage treffen« könne, so Florian Knoll von der KV Berlin.

Die Geschäftsstelle des Berufungsausschusses wiederum antwortete nicht auf eine telefonische nd-Anfrage. Im Anschluss kommunizierte die Pressestelle der KV Berlin, dass es sich um ein noch laufendes internes Verwaltungsverfahren handle. Deshalb »können weder die KV Berlin noch der Berufungsausschuss hierzu weitergehende Stellungnahmen abgeben«. Weitere Anfragen an den Berufungsausschuss solle man »bitte weiterhin ausschließlich an die Pressestelle der KV Berlin« stellen.

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