• Kultur
  • Besetzung des Spukhauses in Utrecht

Gekraakt!

Nicht alles lief glatt, wenn wir in Utrecht Häuser aufbrachen. Doch die Nachbarn brachten uns Kekse

  • Markus Pfeifer
  • Lesedauer: 6 Min.
Niederlande, altes Jahrtausend: Hier war Gastlichkeit stets erste Bürgerpflicht.
Niederlande, altes Jahrtausend: Hier war Gastlichkeit stets erste Bürgerpflicht.

Weil sich mit der Zeit beim Besetzen eine gewisse Routine einschlich, passierten durchaus vergurkte Aktionen. So geschah es in späteren Jahren einmal, dass Maarten für eine bestimmte Hausbesetzung keine Zeit hatte. Maarten war aber ein wichtiger Teil jedes Besetzungsvorgangs, da er immer die Rolle des Telefonierers übernahm. Er konnte nicht so gut mit dem Brecheisen umgehen, hatte aber keine Scheu davor, mit der Polizei zu telefonieren. Den meisten Leuten war diese Aufgabe wiederum unangenehm. Polizei und Staatsorgane, das war vielen eine fremde, feindselige Welt. Maarten war daher so etwas wie mein fester Telefonierer geworden, wenn wir zusammen Häuser besetzten, und wir besetzten eigentlich immer zusammen. Wir besetzten auch für andere Leute.

An jenem Tag drangen wir in ein kleines Obergeschoss der Annastraat ein, aber Maarten musste unbedingt etwas Unaufschiebbares an der Uni erledigen. Ich fragte mich damals, ob es denn überhaupt etwas Wichtigeres gab, als ein Haus zu besetzen, da er sich aber nicht umstimmen ließ, mussten wir eine andere Lösung finden. Schließlich hatten sich schon etwa zehn Menschen für die Besetzung angemeldet. Nach kurzem Überlegen schlug Maarten vor, die Polizei einfach von einer Telefonzelle in der Uni aus anzurufen. Wir müssten uns nur zeitlich abstimmen. Wir wollten um acht mit dem Brechen beginnen und er würde um fünf nach acht zum Hörer greifen.

Ich fand die Idee gar nicht falsch. Wir waren sehr eingespielt. Es war bloß eine Frage des richtigen Timings. So geschah es dann, dass an jenem Morgen diese leidige Tür in der Annastraat nicht aufgehen wollte. Das Brecheisen ließ sich ohne Hilfe des Hammers sofort in den Türspalt schieben, doch die Tür verhielt sich wie Gummi, sie gab zwar nach, war aber zu biegsam, kein festes Holz, das sich aus dem Schloss brechen ließ. Ein Mitbesetzer steckte kleine Metallkeile in den Spalt, den ich geöffnet hatte, damit ich von dort aus mit dem Brecheisen noch einmal ansetzen konnte. Aber das Schloss brach nicht durch.

Wir ließen uns Zeit. Die Straße war sehr ruhig, weil sie hauptsächlich aus Hinterseiten von Läden bestand. In der Annastraat waren wir nur eine kleine Gruppe junger Männer. Niemand stand Schmiere, sondern jeder kümmerte sich um diese hartnäckige Tür. Wir testeten Techniken aus, diskutierten über fehlendes Werkzeug. Wir waren Nerds.

Im Polizeiwagen legten sie eine Denkpause ein, um die Rechtslage zu besprechen. Dann ging die Sirene an.

Nach einer halben Stunde stieg ein ungeduldiger Mitstreiter die Fassade hoch, um im ersten Stock das Fenster einzuschlagen und die Tür von innen zu öffnen. Als er jedoch auf halbem Wege an der Regenrinne baumelte, bog ein Streifenwagen westlich in die Annastraat ein. Dann fiel mir Maarten ein, wie er nichts ahnend auf dem Campus der Uni in einer Telefonkabine gestanden haben musste. Die beiden Polizisten im Wagen schienen auch überrascht zu sein, dass wir uns gar nicht im Hause selbst befanden, sondern noch mit Brechstangen an der Tür beschäftigt waren. Sie bremsten nämlich den Wagen an. Dann schienen sie eine Denkpause eingelegt zu haben, um die Rechtslage zu besprechen. Nach mehreren Sekunden ging erst das Blaulicht und dann die Sirene an. Daraufhin fuhren sie eilig in unsere Richtung. Für uns war das der Anlass, um unser Leben zu rennen.

Bei der ersten Besetzung von Springweg 23 verlief jedoch alles reibungslos. Wir zogen an einem eiskalten Januarmorgen zum Springweg los, noch vor Anbruch der Dämmerung, um an der Hausnummer 23 die Türen aufzubrechen. Wir waren etwa fünfzehn Leute. Wir stellten die Fahrräder in sicherem Abstand ab, ich steckte Vorschlaghammer und Brechstange unter die Jacke und schritt auf die Tür zu. Sie ließ sich öffnen, wie Pizzakarton. Nachdem ich die Türen aufgebrochen hatte, montierte ein gewisser Alex, mit dem ich zusammen die bescheidene Brechtruppe bildete, sofort ein dickes Schiebeschloss auf die Innenseite der Tür. Der Rest unserer Leute stand, mit Thermoskannen und Decken gerüstet, an verschiedenen Ecken Schmiere. Auf Alex’ Pfeifen hin liefen alle gleichzeitig los und drangen ins Haus ein. Der Telefonierer, der an der Ecke zur Haverstraat wartete, bekam ein Zeichen, dann ging der Riegel zu: Gekraakt! Besetzt. Es lief alles sehr effizient ab.

Die Nachbarn wurden ziemlich schnell auf uns aufmerksam. Weil es drinnen wegen der zugenagelten Fenster so dunkel war, verbrachten viele von uns Zeit auf der Straße vorm Haus. Die Nachbarn waren zuerst zögerlich, sie waren aber interessiert und erkundigten sich bei uns, was los sei. Es waren vor allem ältere Menschen, die vermutlich viel Tagesfreizeit hatten. Nach einer Weile kam eine ältere Dame mit Kaffee und Krakelingen zu uns herüber. Krakelinge sind süße, kleine Kekse, die in der Form von Brezeln verabreicht werden. Sie sagte: »Hier, Krakelinge. Weil ihr Krakers seid.« Krakers. Das niederländische Wort für Hausbesetzer. Sie grinste dabei. Ein anderer Mann sagte, Krakers wie uns hatte man im Springweg schon lange keine mehr gesehen, das letzte Mal war schon acht Jahre her, als die Nummer 90 besetzt wurde.

Von der Besetzung der Nummer 90 hatten wir auch gehört. Die Aktion währte nur kurz. Der Eigentümer erschien am Tag der Besetzung mit zwei großen Burschen und einer Pistole. Mit der Pistole schoss er in das Türschloss und verschaffte sich damit Zugang zum Inneren des Hauses. Die Handvoll Besetzer zögerten nicht und flüchteten über die Dächer der Nachbarhäuser. Das Haus wurde daraufhin nie wieder besetzt. Die Umstände sind nicht mit allgemeinen Vorstellungen von Wohngenuss vereinbar. Zwar gab es durchaus Besetzergruppen, die sich gegen gewalttätige und mafiöse Eigentümer zu wehren wussten, aber das waren größere Häuser mit ein paar Dutzend Bewohnern. Meist gab es die nur in Amsterdam, und in Amsterdam war die Bewegung auch wesentlich militanter. In Utrecht bewohnten wir diese kleinen zweistöckigen Häuser, da ist man immer in Unterzahl.

Einige der versammelten Nachbarn ließen es sich nicht nehmen, an die Hausnummer 90 zu erinnern. Vermutlich war das damals eine große Geschichte gewesen. Ein älterer Herr formte mit der Hand eine Pistole und sagte »Pengpeng«. Dabei lachte er. Ich unterstellte ihm keine Böswilligkeit, die Nachbarn waren in einer gewissen Heiterkeit versammelt. Solche Scherze muss man wahrscheinlich machen.

Auch wurde ein Mord erwähnt, der in unserem Haus stattgefunden haben sollte. Obwohl ich erst anderthalb Monate in den Niederlanden wohnte, konnte ich bereits vieles verstehen. Nur sprechen fiel mir noch schwer. Jedenfalls schnappte ich Worte wie Moord und Dood auf, ich würde mir das später erklären lassen müssen, ich wollte an dieser Stelle auch nicht nachfragen, denn das Thema schien für eine leichte Verstimmung zu sorgen und wurde schnell fallen gelassen.

Der Text ist ein Vorabdruck aus der druckfrischen Novelle »Springweg brennt« (Edition Schelf). Der Autofiktions-Blogger Markus Pfeifer (mequito.org) erzählt hier leichtfüßig von der Besetzung eines alten Spukhauses im Utrecht der 90er Jahre.

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