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Ein integrer Mensch
Der renommierte DDR-Historiker Günter Benser ist tot
»Natürlich hatte ich mich gefragt«, erinnert sich Günter Benser an die dramatischen, stürmischen Wochen und Monate 1989/90, »ob es in dieser Krise der DDR, die ja zugleich eine von uns mitverschuldete Krise ihrer Geschichtswissenschaft darstellte, sinnvoll sei, ja, ob ich überhaupt berechtigt war, meine Tätigkeit als Historiker fortzusetzen. Doch dann sagte ich mir: Warum sollten diejenigen, die ihre Niederlage hinter sich haben, weniger zu kritische Analyse fähig sein als diejenigen, die ihre Niederlagen noch vor sich haben? Deshalb habe ich mich einige Male zu meiner Mitverantwortung geäußert, es dann aber abgelehnt, jede Wortmeldung zur Sache mit einer Entschuldigung zu beginnen.«
In ebendiesem Sinne hat sich Günter Benser mit berechtigtem Stolz und Selbstbewusstsein, mit seinem immensen historischen Wissen, profunder Urteilskraft und einem unerschütterlichen Optimismus eingebracht in den Versuch einer gesellschaftlichen Umgestaltung, die gekrönt werden sollte von einem besseren, freundlicheren, gerechteren sozialistischen Staat auf deutschem Boden als jenem, dem die Jugend in einem einzigartigen Massenexodus im Sommer ’89 den Rücken kehrte und der Hunderttausende enttäuschte, aber noch nicht resignierende Bürgerinnen und Bürger im Herbst des Jahres auf die Straßen und Plätze der Städte und Gemeinden trieb, ihre Unmündigkeit und ihren Veränderungswillen bekundend.
Günter Benser, geboren 1931 in einer Arbeiterfamilie in Heidenau, einer Kleinstadt in der Sächsischen Schweiz, kam über die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät zum Studium der Geschichte in Leipzig. Und war zeitlebens dankbar für die Chance, die sich ihm mit der am 7. Oktober 1949 proklamierten, sich als Arbeiter-und-Bauern-Staat verstehenden Deutschen Demokratischen Republik bot. Seine ersten wissenschaftlichen Meriten erwarb er sich am Institut für Marxismus-Leninismus (IML) beim ZK der SED, das nicht nur eine Propagandaeinrichtung war, wie im Nachhinein vielfach behauptet. Dort fand durchaus seriöse Forschung statt, auch wenn sich diese nicht vollumfänglich in den veröffentlichten Editionen niederschlug.
Günter Benser recherchierte und publizierte zur Geschichte der KPD und SED, war Mitherausgeber von Dokumentenbänden und Autor der populärwissenschaftlichen »Illustrierten Historischen Hefte«, Mitglied des Rates für Geschichtswissenschaft und des Historikerverbands der DDR. Seine große Stunde schlug mit der »Wende«. Von den Mitarbeitern wurde er fast einstimmig zum neuen Direktor des IML gewählt, das sich unter seiner Ägide in Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung (IfGA) umbenannte – bevor diesem zwei Jahre später von den neuen, gierig SED-Immobilien und -Geldern nachjagenden, die sogenannte Nachfolgepartei zerschlagen wollenden Herren im Lande der Garaus gemacht wurde.
Als eine Reformierung der DDR noch nicht abgeschrieben war, alles noch möglich erschien – in der kurzen Zeit der Utopie –, hat Günter Benser Beachtliches geleistet. Mit Kollegen und Kolleginnen veröffentlichte er Biografien von Opfern des »Großen Terrors« in der Sowjetunion der 1930er/40er Jahre unter Stalin sowie der Repressionen in der SBZ, der sowjetischen Besatzungszone, und frühen DDR – die fachliche Grundlage für die von DDR-Generalstaatsanwalt Günther Wieland vorgenommenen Rehabilitierungen.
Günter Benser war die maßgebliche Feder des von Michael Schumann auf dem Sonderparteitag der SED Anfang Dezember ’89 vorgetragenen Referats »Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System«, quasi das Gründungsdokument der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Er stritt auf öffentlichen Foren und in Medien, darunter in dieser Zeitung, um den Begriff »Zwangsvereinigung« von KPD und SPD 1946, betonte die Überzeugung vieler Kommunisten und Sozialdemokraten seinerzeit, die unheilvolle, mit in den Hitlerismus führende Spaltung der Arbeiterbewegung endlich zu überwinden, verwies aber auch auf repressive Momente und korrigierte selbstkritisch eigene frühere Äußerungen. Und auch zu vielen anderen Krisen und Wendepunkten sowie möglichen Alternativen in der Geschichte der DDR und des Realsozialismus sowjetischer Prägung in Osteuropa bezog er Stellung. Was Günter Benser nationale und internationale Anerkennung eintrug.
Zu seinen größten Verdiensten gehört die Rettung des Parteiarchivs der SED, die Gründung der SAPMO, der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, im Bundesarchiv sowie des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Keine Zerschledderung, Zerfledderung, Zerstreuung der Akten. Als Gründungsmitglied der Historischen Kommission der PDS, später Die Linke, der Hellen Panke/ Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie als Mitglied der Leibniz-Sozietät nahm er unentwegt teil an wichtigen historischen wie aktuell-politischen Debatten. Vieles, was er schon in den 90er Jahren in die Debatten einbrachte, sei es zum Verdikt »Unrechtsstaat«, sei es zu den materiellen und biografischen Enteignungen der Ostdeutschen, den Demütigungen, Diskriminierungen, Verletzungen und Entwürdigungen, die von allen bisherigen Bundesregierungen ignoriert und von der westdeutschen Medien- und Mehrheitsgesellschaft lange Zeit verspottet wurden, ist heute evidenter denn je. Kann nicht mehr negiert werden.
Günter Benser, ein integrer, bescheidener und stets bodenständig gebliebener Wissenschaftler, ist am Donnerstag, dem 27. März, im Alter von 94 Jahren verstorben. Viele werden ihn vermissen. Sein zur Millenniumswende 2000 erschienenes Buch »DDR – gedenkt ihrer mit Nachsicht« darf als sein Vermächtnis gelten und sollte gerade heute viele Leser finden. Eine Neuauflage wäre darob wünschenswert.
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