Landgericht Mühlhausen: »Reichsbürger« als Wegelagerer

Vor dem Landgericht Mühlhausen beginnt ein Prozess gegen zwei Männer, die Behördenmitarbeiter eingeschüchtert und erpresst haben sollen

  • Kai Budler
  • Lesedauer: 3 Min.
Demo sogenannter Reichsbürger in Schwerin Mitte März: Die Anhänger dieser Glaubensrichtung erkennen die BRD nicht an und wollen das Kaiserreich von 1871 oder Fürstentümer wiedererrichten. Sie mögen wirr sein, harmlos sind sie nicht, wie Umsturzpläne, Waffenarsenale etc belegen.
Demo sogenannter Reichsbürger in Schwerin Mitte März: Die Anhänger dieser Glaubensrichtung erkennen die BRD nicht an und wollen das Kaiserreich von 1871 oder Fürstentümer wiedererrichten. Sie mögen wirr sein, harmlos sind sie nicht, wie Umsturzpläne, Waffenarsenale etc belegen.

In Nordthüringen hat eine Gruppe von »Reichsbürgern« mit Drohungen gegen Behördenmitarbeiter*innen versucht, Zahlungsforderungen abzuwehren und die Ämter lahmzulegen. Das zumindest behauptet die Staatsanwaltschaft Mühlhausen. Sie ermittelte deshalb mit der Kriminalpolizei Nordhausen knapp drei Jahre gegen insgesamt 14 Personen aus diesem Milieu.

Im Dezember 2023 folgten Durchsuchungen an insgesamt elf Orten in Thüringen. Die Ermittler*innen beschlagnahmten schriftliche Unterlagen, elektronische Datenträger und auch Vermögenswerte der Beschuldigten. Für den Landwirt Steffen S. aus Mühlhausen und Mike H. aus Erfurt endete der Tag im Dezember in Untersuchungshaft. Die Strafverfolgungsbehörde stuft die beiden als Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung ein, die versucht haben soll, eine eigene steuerrechtliche Sonderrechtsordnung zu schaffen. Außerdem wird ihnen versuchte Nötigung und Erpressung vorgeworfen.

Insgesamt mehr als 310 Schreiben im typischen »Reichsbürger«-Stil sollen sie an Mitarbeiter*innen von Finanzamt und Gerichten verfasst haben. Teilweise wurden diese täglich eingereicht. S. muss sich zudem wegen Umsatzsteuerhinterziehungen in drei Fällen mit einer Summe von rund 532 000 Euro verantworten. Er soll 2021 die Umsatzsteuervoranmeldungen für einen von ihm betriebenen Edelmetallhandel nicht abgegeben haben.

An diesem Montag beginnt der Prozess gegen S. und H. vor dem Landgericht Mühlhausen. Unter ihrer Leitung soll sich die »Reichsbürger«-Gruppe arbeitsteilig organisiert haben. Aufgabenbereiche seien Sekretariats- und Netzwerkarbeit ebenso gewesen wie die Beobachtung von Gerichtsverhandlungen und der Aufbau von Finanzierungsstrukturen. S. persönlich werden mehr als 260 Erpressungen und Nötigungen im besonders schweren Fall vorgeworfen, Mike H. mehr als 50 Fälle.

Mit ihrem Vorgehen sollen die Mitglieder der Vereinigung Gläubiger und Beschäftigte in den Behörden systematisch bis in den Privatbereich eingeschüchtert haben, so dass sie sich nicht mehr trauten, ihrer Pflicht nachzukommen. Mal waren es Drohbriefe an Beamte, denen im typischen »Reichsbürger«-Duktus Fantasiesummen in Rechnung gestellt wurden, versehen mit der Drohung, die Sache »börsennotierten internationalen Schuldeneintreibern« zu übergeben.

Ein anderes Mal soll S. Kleinkriminelle angeheuert haben, um einen Anschlag auf das Haus und das Auto eines Steuerfahnders zu verüben. In manchen Fällen scheint diese Mischung aus Druck, Erpressung und Nötigung gewirkt zu haben. Zumindest das Finanzamt Mühlhausen versäumte es über Jahre, gegen S. eine Steuerschuld in Höhe von mehreren Millionen Euro zu vollstrecken.

Auch Kontakte zu bundesweit agierenden terroristischen »Reichsbürger«-Vereinigungen wie dem Netzwerk »Patriotische Union« um Heinrich Prinz Reuß soll die Gruppe um S. und H. gehabt haben. 2022 sollen sich Personen aus dem Nordthüringer Zusammenschluss zudem mit Mitgliedern der rechtsterroristischen Gruppierung »Vereinten Patrioten« getroffen haben. Sie hatte bundesweite Stromausfälle und die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach geplant. Anschließend wollte sie eine neue Verfassung nach dem Vorbild des Kaiserreichs 1871 einführen. Vor dem Oberlandesgericht Koblenz wurden Mitglieder der Gruppe zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Mit dem anstehenden Prozess betreten Staatsanwaltschaft und das Landgericht Mühlhausen juristisches Neuland, denn es ist das erste Mal, dass eine »Reichsbürger«-Gruppe als kriminelle Vereinigung angeklagt wird. Bis Mitte Juli sind rund 20 Verhandlungstermine anberaumt. Gegen die anderen mutmaßlichen Mitglieder der Thüringer Gruppierung laufen die Ermittlungen noch.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.