- Politik
- No Tav in Turin
Linksradikale nicht kriminell
Trotzdem hohe Strafen für Bahnstreckengegner in Turin
Langer Beifall und No-TAV-Sprechchöre begleiteten am Montagnachmittag die Verlesung des Urteils in Turin, das Aktivisten des linksradikalen sozialen Zentrums »Askatasuna« (baskisch: Freiheit) vom Vorwurf der kriminellen Vereinigung freisprach. Nach einem zweijährigen Prozess und einer Lawine von Abhörmaßnahmen sind die Vorwürfe gegen das Haus am Corso Regina Margherita 47 damit zusammengebrochen, wie auch Andrea Bonadonna, einer der Angeklagten, vor dem Gerichtsgebäude erklärte: »Diejenigen, die jeden Tag für das Wohl anderer Menschen, ihrer Stadt, ihres Viertels, ihres Landes kämpfen, dürfen nicht mit Kriminellen gleichgesetzt werden.«
16 Freisprüche gab es für den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung. 18 (von insgesamt 28 Angeklagten) wurden dagegen wegen gewalttätiger Demonstrationen gegen Baustellen der Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke TAV zwischen Turin und Lyon im Susatal, nahe der französischen Grenze, verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte für die Beschuldigten insgesamt 88 Jahre Gefängnis beantragt; die von den Richtern verhängten Strafen betrugen nunmehr rund 21 Jahre – die höchste Strafe vier Jahre und neun Monate, die niedrigste fünf Monate.
Der Text wurde »nd« zur Verfügung gestellt von der linken italienischen Tageszeitung »Il Manifesto«, mit der wir kooperieren.
Schadensersatz für einen Zaun
Das Amt des Ministerpräsidenten und die Ministerien für Inneres sowie Verteidigung hatten von den Angeklagten Schadenersatz in Höhe von 6,8 Millionen Euro gefordert. Das Urteil legt aber fest, dass dafür eine zivilrechtliche Klage eingereicht werden muss. Telt, die binationale Gesellschaft, die den grenzüberschreitenden Abschnitt der Eisenbahnlinie Turin-Lyon betreibt, wollte zusätzlich eine Million Euro, erhält aber nur 500 Euro für die Beschädigung eines Zauns.
Am Montag war das Gericht streng abgeschirmt, Generalstaatsanwältin Lucia Musti hatte verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für den Zugang angeordnet sowie »Helme, Perücken, Masken, Konfetti und Luftschlangen« verboten. Die Aktivisten von »Askatasuna« feierten das Urteil dennoch.
Polizeigewerkschaften protestieren
Die Polizeigewerkschaften sprechen hingegen von einer »Demütigung für die Beamten« (COISP), fordern Innenminister Matteo Piantedosi auf, gegen das Urteil Berufung einzulegen (SIULP), und befürchten, dass es »all jenen, die sich in den Aktionen von ›Askatasuna‹ wiedererkennen, einen weiteren Anstoß zur Fortsetzung der gewaltsamen Aktionen geben wird« (SIAP).
Auf der linken Seite applaudiert Paolo Ferrero, Provinzsekretär der Partei Rifondazione Comunista, dem Gericht. Auch Politiker der linksgrünen Allianz (AVS) zeigten sich zufrieden. »Wir erwarten eine Entschuldigung von den Rechten, die die Angeklagten und Sympathisanten schwer angegriffen haben«, sagte die Fraktionsvorsitzende der Sinistra Ecologista im Turiner Gemeinderat. Die Vizepräsidentin der Partei Fratelli d’Italia (FdI) in der Region Piemont sieht das anders: »Es sind Kriminelle.«
Die Langfassung des Textes ist bei unserem Kooperationspartner »Il Manifesto« im Original auf Italienisch erschienen.
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