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Alba Berlins Revolution im Minibereich
Der Basketballklub stellt seine Nachwuchsarbeit neu auf und will Sport und Schule nur noch zusammen denken
Die Ankündigung klang genauso radikal wie ungewöhnlich. Anfang März erklärte Alba Berlin, dass man ab der Saison 2026/2027 von der U9 bis zur U12 keine eigenen Nachwuchsteams mehr anmelden wird, weder bei den Mädchen noch bei den Jungs. Der Hauptstadtklub, der über die Jahre unzählige Nationalspieler*innen entdeckt und entwickelt hat – darunter auch die aktuellen NBA-Stars Franz und Moritz Wagner – verzichtet zukünftig freiwillig darauf, Talente frühzeitig in den Verein zu holen. Und das ausgerechnet in einem Moment, in dem die finanzstarke Basketballabteilung des FC Bayern München den Albatrossen national den Rang abzulaufen droht.
Was auf den ersten Blick schwer nachvollziehbarer erscheint, ist tatsächlich der logische nächste Schritt einer lang angelegten Strategie, mit der Alba zumindest bei der Nachwuchsförderung weiterhin Maßstäbe setzen will. Anstatt die größten Talente Berlins schon im Grundschulalter in Auswahlteams zusammenzuführen, geht der elfmalige deutsche Meister dahin, wo die Kinder ab dem kommenden Jahr noch mehr Zeit verbringen werden: in die Schule.
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»Wir gestalten hier nicht weniger als eine kleine Revolution im deutschen Sportsystem. Die Ganztagsschule wird ab 2026 überall zum Standard. Das sehen wir nicht als Bedrohung, sondern als Chance«, erklärte Alba-Geschäftsführer Marco Baldi im März. Wenn alle Erstklässler*innen in Deutschland ab nächstem Sommer Anspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung haben, will Alba vorbereitet sein. Wenn der bundesweite Ganztag bis zum Schuljahr 2029/2030 auf die Klassenstufen zwei bis vier ausgeweitet wird, will der Basketball-Bundesligist nicht mit anderen Freizeitangeboten um die Abendstunden der Kinder konkurrieren.
Der Sportverein in der Ganztagsschule
Stattdessen baut Alba die Zusammenarbeit mit seinen 76 Partnergrundschulen in Berlin weiter aus. Schon seit Jahren bieten Alba-Trainer*innen an vielen Grundschulen – aber auch an Kitas und Oberschulen – Basketballtraining und Bewegungsangebote an. Mit dem Ausbau des Ganztags sollen auch diese Sportstrukturen an den Partnereinrichtungen weiter wachsen. »Wir wollen möglichst viele Kinder zum Sport treiben animieren und möglichst lange positiv beeinflussen. Aber wir gucken natürlich auch, ob bei den ganzen Kindern, die wir haben, vielleicht eins dabei ist, was das Talent hat, irgendwann bei uns in der Herren-Euroleague oder der Damen-Bundesliga zu spielen«, sagt Marius Huth, Albas Nachwuchskoordinator im Minibereich, im Gespräch mit »nd«.
Die Berliner Basketballer sind inzwischen überzeugt davon, dass es nicht sinnvoll ist, einige wenige Grundschulkinder in einem Auswahlteam trainieren zu lassen. In diesem Alter sei es viel wertvoller möglichst viele Kinder mitzunehmen, da es ohnehin noch nicht klar sei, wer sich wie entwickeln wird, erklärt Huth. »Wir wollen Achtjährigen nicht den Stempel geben, du bist jetzt einer von den Auserwählten und wirst jetzt Profi, weil das oft schon etwas in den Köpfen der Kinder und der Eltern anstellt, und wir die Erfahrung gemacht haben, dass das meistens gar nicht so positiv ist.«
Alba hat deswegen die sogenannten Schulvereinsteams ins Leben gerufen, in denen alle interessierten Kinder einer Schule in den Altersklassen U10 und U12 gemeinsam Basketball spielen können. Statt eigener Nachwuchsteams hat der Verein gemeinsam mit seinen Partnerschulen 45 solcher Teams aufgebaut – weitere sollen folgen. Mädchen und Jungs können unter professioneller Anleitung von Alba-Trainer*innen trainieren und nehmen mit ihrer Schulvereinsmannschaft auch am Spielbetrieb des Berliner Basketball-Verbands teil. Die Schule wird am Nachmittag für ein bis zwei Stunden zum Basketballverein, und der Verein wird zum Erzieher.
Alles beginnt im Wedding
Wie gut das funktionieren kann, zeigt sich nirgendwo deutlicher als an der Albert-Gutzmann-Schule in Berlin-Wedding. In der als Brennpunkt markierten Grundschule an der Pankstraße engagiert sich Alba seit 2015. Weil die Kinder gerne Basketball spielen wollten, wandte sich die Schule vor zehn Jahren an den Verein. Wenig später kamen die ersten Alba-Trainer*innen. Was seitdem aus der Zusammenarbeit entstanden ist, klingt wie ein kleines Großstadtmärchen.
»Besonders an der Gutzmann-Schule war es wichtig, dass die Kinder nicht zum Sport hingehen, sondern der Sport an die Schule kommt, einfach aufgrund der sozialen Herkunft der Kinder«, sagt die Erzieherin Sabine Gutschke, die den ersten Kontakt zwischen Alba und ihrem damaligen Arbeitgeber herstellte. Die Vorteile des zusätzlichen Sportangebots wurden schnell deutlich: bessere Konzentration durch Bewegungsphasen, ein neues Verständnis für Regeln im schulischen Miteinander, weniger Gewalt und die Fähigkeit auch mit Misserfolgen umgehen zu können.
Der Effekt auf die Kinder der Albert-Gutzmann-Schule war so positiv, dass auf Vereins- und Schulseite der Wunsch nach mehr immer größer wurde. Weil sich auch beim Lehrer*innenkollegium und den Angestellten ein neues Wir-Gefühl und eine größere Identifikation mit der Schule einstellte, wurde ab 2018 darüber nachgedacht, ob Alba nicht das gesamte Ganztagsangebot an der Schule organisieren könnte, erklärt Gutschke im Gespräch mit »nd«. Zwei Jahre brauchte es dann noch bis der Verein tatsächlich die Trägerschaft übernahm.
Alba als freier Träger
Seitdem kümmert sich der Basketball-Profiklub mit seiner »Albaspross«-Abteilung täglich mit rund 30 angestellten Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen und Coaches um die 300 Schulkinder in der Pankstraße. Die Bewegungsangebote beginnen dabei schon vormittags. Während des Unterrichts gibt es immer wieder kleine Unterbrechungen, um überschüssige Energie abzubauen und die Kinder kurz zu aktivieren. In der zweiten großen Pause können die Klassen in einer Pausenliga gegeneinander antreten. Dabei wird besonders darauf geachtet, dass alle Kinder mit ihren körperlichen Möglichkeiten mal im Vorteil sind. Am Nachmittag gibt es neben dem Basketball-Schulvereinsteam auch noch andere Sportangebote sowie Kunst- und Musik-AGs.
Albas Konzept ist so erfolgreich, dass der Verein inzwischen bei drei weiteren Schulen als Träger eingestiegen ist. Auch in der Lew-Tolstoi-Grundschule in Berlin-Karlshorst, der 49. Grundschule in Pankow und an der weiterführenden Albrecht-von-Graefe-Schule in Kreuzberg organisiert Alba mit seinen eigenen Fachkräften den Ganztag. Sabine Gutschke leitet seit gut einem Jahr die pädagogische Arbeit des Vereins an allen drei Grundschulen. »Das, was wir jetzt haben, wollen wir erst mal gut machen. Wir sind aber natürlich offen für Menschen und andere Schulen, die sich für unser Konzept interessieren«, sagt die 57-Jährige.
Gemeinsam für mehr Bewegung
Seine Erfahrungen in der Arbeit an und mit Schulen teilt Alba gern. Dafür wird auch das übliche Konkurrenzdenken unter Profiklubs ausgesetzt. Im Projekt »Sport vernetzt« hat Alba inzwischen 50 Organisationen und Vereine zusammengebracht, zu denen unter anderem auch die Fußballvereine Union Berlin und Werder Bremen gehören sowie mehrere weitere Basketball-Bundesligisten.
Gemeinsam mit Schulen und Kitas will die Initiative in ganz Deutschland leicht zugängliche und sportartübergreifende Angebote für alle Kinder schaffen, insbesondere an sozialen Brennpunkten. Und für alle Vereine, die auch darüber nachdenken, als Träger an einer Ganztagsschule einzusteigen, hat Alba gemeinsam mit der Berliner Senatsverwaltung für Bildung und dem Landessportbund der Hauptstadt in der vergangenen Woche eine Handreichung präsentiert, wie der Schritt an die Schulen gelingen kann.
Das Positivbeispiel gibt es immerhin schon: Alba Berlin hat vorgemacht, wie sich soziales Engagement und sportliche Talentförderung nicht nur verbinden lassen, sondern sogar voneinander profitieren können. »Wir sind der festen Überzeugung, dass wir mit diesem Schritt nicht nur unsere Breite stärken, sondern langfristig auch in der Spitze davon profitieren«, ist sich Nachwuchskoordinator Marius Huth sicher und lässt keinen Zweifel daran, dass Alba seine kleine Sportrevolution konsequent weiterführen wird.
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