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Kreisch! Kuschelwölfe mit Knopfaugen!
Ein Biotech-Konzern züchtet längst ausgestorbene Wölfe. Klingt harmlos, aber vom Ende her gedacht: brandgefährlich!
Der vor zirka 10 000 Jahren ausgestorbene Schattenwolf (Aenocyon dirus), auch bekannt als »Schrecklicher Wolf« (»Dire Wolf«), so lernen wir bei einem Blick in unsere naturwissenschaftliche Hausbibliothek, hatte dichtes weißes Fell. Er war außerdem deutlich größer als der heute lebende Grauwolf, hatte einen massiveren Schädel und ein kleineres Gehirn.
In der vergangenen Woche ging nun diese Nachricht, die in sämtlichen Zeitungen zu lesen war, um die Welt: Ein US-amerikanischer Biotechnologie-Konzern hat Erbgut, das von dem ausgestorbenen Tier stammt, aus Fossilien – einem 13 000 Jahre alten Zahn und einem 72 000 Jahre alten Ohrknochen – extrahiert und damit die Gene von heute lebenden Grauwölfen manipuliert. Danach fabrizierten die Forscherinnen und Forscher Embryonen aus den gentechnisch veränderten Grauwolfzellen und implantierten sie in Haushunde, die als Leihmütter herhalten mussten. Hot Shit!
Ein recht strapaziöses und herausforderndes Doktor-Frankenstein-Bravourstück wurde da also ins Werk gesetzt.
Ein recht strapaziöses und herausforderndes Doktor-Frankenstein-Bravourstück wurde da also ins Werk gesetzt.
Die Namen der drei mittels Leihmutterhunden produzierten fragwürdigen Lebewesen (also: der gentechnisch erzeugten »Wölfe«), die ein weißes Fell haben, lauten: »Romulus«, »Remus« und »Khaleesi«. Bei der Namenswahl haben die PR-Experten des Konzerns sich große Mühe gegeben: Mythologie! Rom, die Ewige Stadt! Märchenwelt! Altertums- und Mittelalterromantik! Ein bisschen Disneyland und Anklänge an die »Game of Thrones«-Fantasyschmöker! Klar: Man hätte die künstlich hergestellten vierbeinigen Viecher auch »Hitler«, »Höcke« und »Khomeini« taufen können, aber womöglich wäre das nicht im Sinne des Konzernvorstands gewesen.
Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute
Von dem besagten Biotechnologie-Konzern, von dem wir annehmen dürfen, dass er nicht aus reiner Selbstlosigkeit und überschäumender Menschen- und Tierliebe handelt, werden die aufwendig erzeugten tierischen Monstren natürlich stolz herumgezeigt, als handele es sich bei ihnen um die frisch geschlüpften Schoßhündchen von Selena Gomez. Und selbstverständlich ist das Ganze ein gefundenes Fressen für die Medien, die sich kaum noch einkriegen und kritische Berichterstattung komplett durch Beifall und Hysterie ersetzt haben: ein Wunder der modernen Wissenschaft! Die unendlichen Möglichkeiten der Gentechnik! Blütenweiße Kuschelwölfe mit Knopfaugen! Diese süßen kleinen Racker! Kreisch!
Doch tatsächlich sind das keine guten Nachrichten. Anscheinend stellt bisher niemand die Frage, wohin das führen kann. Man stelle sich vor, welche Gefahren solche von dubiosen Privatunternehmen durchgeführten biotechnologischen Experimente bergen. »Ein privater Konzern, der aus Gründen, die möglichst im Verborgenen bleiben sollen, in blickdichten Labors aus unbekannten Materialien mit modernster Technologie neuartige Kreaturen erschafft« – was fällt einem bei diesem Thema für gewöhnlich als Erstes ein? Richtig.
Romulus und Remus waren im Übrigen Kinder des Kriegsgottes Mars (räusper). Gut möglich also, dass eine Sache, die einst mit possierlichen kleinen Kuschelwölfen begonnen hat, mit schleimigen, augenlosen hochaggressiven parasitären Lebensformen endet, die nur von Sigourney Weaver mit einem Flammenwerfer wieder beseitigt werden können.
Möchte zum Beispiel irgendjemand, dass ein nicht unbedingt vertrauenerweckender Konzern in 10 000 Jahren das Erbgut von ausgestorbenen Schattenmännern wie Friedrich Merz und Markus Söder erwirbt, das Wissenschaftler bei Ausgrabungen unter einem versteinerten Bierzelt aus dem Holozän gefunden haben, und damit die Gene von anderen Menschen manipuliert? Warum würde in 10 000 Jahren ein Unternehmen Wert darauf legen, eine längst nicht mehr existierende Politikerart, deren Merkmal massive Schädel und kleine Gehirne waren, mithilfe modernster Technologien wieder zurück ins Leben zu rufen? Warum würde jemand eine Art Jurassic Park des Kapitalismus erschaffen wollen? Und wie gelänge es in 10 000 Jahren dem niederträchtigen Konzern, Menschen dazu zu bewegen, mit ihrem Körper dem Fortschritt zu dienen, das heißt: sich Söder-/Merz-DNA-Sequenzen ins eigene Erbgut einfügen zu lassen oder den Embryo eines Söder-/Merz-Klons auszutragen? Sie merken schon: Moderne Biotechnologie bringt nicht nur schneeweiße putzige Pelztierchen hervor, sondern bei entsprechendem Bedarf auch die Mächte der Finsternis wieder ans Licht des Lebens. Wobei ich nicht ultrastreng sein möchte. Dichtes weißes Fell hin oder her: Einen süßen, kleinen Linnemann-Klon mit Knopfaugen, wenn er parieren gelernt hat, würde ich – in 10 000 Jahren – schon gern an der Leine führen.
Aber dennoch: Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft nicht gentechnische Experimente von zweifelhaften Konzernen vollständig unterbunden werden sollten. Sicher ist jedenfalls: Winter is coming!
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