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Köln: Orchester der Solidarität für Zaid A.
250 Menschen demonstrieren für Gefangenen im »Budapest-Komplex«
Rund 250 Menschen haben am Ostersamstag vor den Mauern der JVA Köln-Ossendorf gegen die drohende Abschiebung des jungen Antifaschisten Zaid A. nach Ungarn demonstriert. In dem Gefängnis sitzt der 21-Jährige auf Antrag Ungarns in Auslieferungshaft. Im sogenannten »Budapest-Komplex«, in dem Antifas europaweit mit Repression überzogen werden, ist seine Situation besonders prekär: Zaid ist syrischer Staatsbürger, der aber mit seinen Eltern in Deutschland subsidiären Schutz erhalten hat.
Nicht nur Zaids Eltern sprechen: Auch ehemalige Orchesterfreund*innen sind mit Reisebus aus Bayern angereist, im Gepäck Instrumente, einen Dirigenten und Liebeserklärungen. »Die Vorwürfe gegen dich sind politisch motiviert, nicht rechtsstaatlich geprüft«, ruft ein Sprecher des Solidaritätskreises »Freiheit für Zaid«. Seine Worte dröhnen aus Boxen, ausgerichtet speziell auf Zaids Zelle. Er erinnert, weshalb der einsitzt: Ihm wird vorgeworfen, im Februar 2023 am Rande des rechtsextremen Gedenkmarsches »Tag der Ehre« in Budapest Neonazis attackiert zu haben.
Die ungarische Justiz führe seitdem Schauverfahren, bekräftigte der Sprecher gegenüber dem »nd« am Rande der Kundgebung. Man äußere sich zwar nicht zu den Details der Tatvorwürfe gegen Zaid, man unterstütze jedoch alle, die »im antifaschistischen Sinne Verantwortung« übernähmen.
In Ungarn drohen Zaid bis zu 24 Jahre Haft – ein Strafmaß, das seine Unterstützer*innen in ihren Reden als grotesk unverhältnismäßig kritisieren. Schlimmer noch: In Ungarn gebe es kein Jugendstrafrecht, sowohl Justiz als auch Strafvollzug unterliefen systematisch europäische Standards, angesichts zurückliegender öffentlicher Kampagnen in Ungarn sei ein rechtsstaatliches Verfahren schlichtweg unmöglich.
Zaids Eltern blicken voller Sorgen auf ein mögliches Verfahren in Budapest. Gleichzeitig sind sie tief bewegt vom Anblick so vieler Menschen und der hier spürbar »besonderen Energie«. Zu »nd« sagt Zaids Vater: »Was heute hier passiert, gibt uns Hoffnung. Es ist unglaublich!« Für das breite Spektrum linker Gruppen, Freund*innen und Verwandten ist klar: Der seit frühester Kindheit in Deutschland aufgewachsene Zaid gehört vor ein deutsches Gericht. »Es ist völlig unverständlich, dass Zaid anders behandelt wird als die anderen im Budapest-Komplex Beschuldigten«, macht die Mutter einer anderen Inhaftierten in ihrer Rede klar, die sie für die Initiative »Family and Friends« hält.
Und dann spielt Zaids ehemaliges Orchester. Diese ungewöhnliche Knast-Kundgebung verläuft dadurch kraftvoll und zugleich berührend. Das liegt wohl auch an Vivi, Cellistin und langjährige Freundin Zaids: Sie hat die früheren Mitspielerinnen zusammengetrommelt und mit Zaids Eltern die Fahrt nach Köln organisiert. Die musikalischen Grüße reichen von klassischen Stücken bis zur Stadionhymne »You’ll Never Walk Alone«. »Wo immer du bist, du bist ein Teil von uns!«, ruft Musikerin Vivi ins Rund. Dann trägt sie einen Brief Zaids vor: Er sei »unfassbar stolz auf alle« und sein Herz schlage »nur noch in Liebe«, sobald er an vergangene Abenteuer und seine derzeitige Unterstützung denke. Einige Zuhörerinnen kämpfen mit Tränen – kurz darauf wird mit bayerischem Bier angestoßen, das die Freund*innen mitbrachten.
Neben den sehr persönlichen Worten, über die Mauern direkt an den Gefangenen adressiert, sendet die Kundgebung eine klare politische Botschaft: Alle appellieren an das zuständige Kammergericht Berlin und die Bundesregierung, die Auslieferung zu stoppen. Ungarns Regierung missachte systematisch rechtsstaatliche Grundsätze, warnt die bei »Family and Friends« organisierte Mutter und erinnert an die antifaschistische Person Maja T., die 2024 trotz höchstrichterlicher Entscheidung unter skandalösen Umständen aus deutscher Haft nach Ungarn verschleppt wurde und seither in Isolationshaft sitzt. Was viele hier beunruhigt: Bei ebenjenem Berliner Kammergericht, das eine Anweisung des Bundesverfassungsgerichts unterlief und Maja rechtswidrig ausliefern ließ, liegt nun auch die Entscheidung über das Schicksal Zaids.
Während der Solikreis »Freiheit für Zaid« weitere Kundgebungen vor der JVA plant, wünschen sich die Eltern Zaids mehr mediale Aufmerksamkeit und politischen Druck. Dieser bildet sich derzeit im Internet: Das in Köln ansässige Grundrechtekomitee initiierte Anfang April – unterstützt von Dutzenden Organisationen und Prominenten – einen offenen Brief. Über 80 000 Menschen haben bereits für seinen Verbleib in Deutschland unterschrieben. Italienische und französische Gerichte haben zuletzt ungarische Auslieferungsbegehren im »Budapest-Komplex« abgelehnt – Handlungsspielraum scheint also auch im Fall von Zaid A. zu bestehen.
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