Jüdisches Leben sichtbar machen

Was sich Brandenburgs erster Antisemitismusbeauftragter Andreas Büttner vorgenommen hat

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Andreas Büttner im Juni 2024 bei seiner Vereidigung im Landtag – hinter ihm steht die Linksfraktion, vor ihm verlässt die AfD den Saal.
Andreas Büttner im Juni 2024 bei seiner Vereidigung im Landtag – hinter ihm steht die Linksfraktion, vor ihm verlässt die AfD den Saal.

»Ich werde regelmäßig in den sozialen Medien beschimpft«, berichtet Brandenburgs Antisemitismusbeauftragter Andreas Büttner. »Ich bin angeblich ein Nazi, ein Rassist.« Besonders bitter für ihn, von welcher Seite er als Ratte beschimpft wird: Das komme täglich aus den Reihen der eigenen Genossen, bedauert Büttner. Er werde aufgefordert, endlich aus der Linken auszutreten.

Im Oktober 2015 ist der heute 51-Jährige zu den Sozialisten übergetreten. Bis zur Landtagswahl 2014 war er noch FDP-Fraktionschef. Er denke nicht daran, Die Linke zu verlassen, sagt Büttner. Die Ankündigung seiner Widersacher, ein Ausschlussverfahren zu beantragen, sieht er gelassen. »Ich finde das gut. Dann wird es geklärt«, sagt Büttner. »Ich gehe davon aus, dass ich aufgrund meiner Aussagen nicht aus der Partei ausgeschlossen werde. Dann können diese Leute endlich Ruhe geben.«

Was Büttner vorgeworfen wird? Als Antisemitismusbeauftragter geriet er in einen Streit hinein, der die linke Szene seit Jahrzehnten umtreibt und der seit dem Massaker der palästinensischen Hamas vom Oktober 2023 und der darauffolgenden Bombardierung des Gazastreifens an Schärfe noch zugenommen hat. Im Gazastreifen kämpfen Israel und die Hamas mit Waffengewalt, in der deutschen Linken der israelsolidarische und der propalästinensische Flügel mit Wortgefechten.

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»Man kann die israelische Regierung kritisieren, aktuell muss man sie sogar kritisieren«, bezieht Büttner Position. Israel vorzuwerfen, es sei ein Apartheidstaat, eine Kolonialmacht, die Völkermord begehe, lehnt er allerdings ab. Den Vergleich mit der einstigen Rassentrennung in Südafrika und den Südstaaten der USA hält Büttner für falsch, weil alle Menschen – Juden und Araber – in Israel vor dem Gesetz gleich seien. Zweifellos gebe es auch Diskriminierung in Israel, räumt Büttner ein – aber rechtlich seien sie gleichgestellt. Von Kolonialismus will Büttner nicht sprechen, weil das Land die historische Heimat der Juden sei. Der Landstrich sei fast zwei Jahrtausende von fremden Mächten beherrscht worden. Erst sei er eine römische Provinz gewesen, zuletzt britisches Mandatsgebiet. Die Bombardierung des Gazastreifens als Völkermord zu brandmarken, hält der Antisemitismusbeauftragte für eine Verharmlosung des Holocaust. Der Vorwurf gegen Israel, es seien Kriegsverbrechen verübt worden, müsse natürlich untersucht werden.

Davon abgesehen betrachtet es Büttner nicht als Aufgabe des Brandenburger Antisemitismusbeauftragten, sich mit dem Nahost-Konflikt zu befassen – jedenfalls nicht über die Frage hinaus, inwiefern es die im Bundesland lebenden Juden betrifft. Die müssten sich jetzt oft anhören: »Was treibt eure Regierung da unten?« Doch das sei eine völlig falsche Fragestellung. Israels Regierung sei doch keineswegs die Regierung der Brandenburger Juden, die fast alle aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion stammen und deutsche Staatsbürger geworden sind. Die Regierung in Jerusalem haben sie nicht gewählt. Israelis gebe es in Brandenburg nur sehr vereinzelt.

Juden für alles verantwortlich zu machen, sei übrigens eine typische Spielart von Antisemitismus, erläutert Büttner. Er selbst ist christlichen Glaubens und am 20. Juni vergangenen Jahres im Landtag vereidigt worden. Die AfD lehnte die Schaffung dieses Postens ab und entfernte sich während der Zeremonie demonstrativ aus dem Plenarsaal. Büttner überraschte das nicht. »Die AfD ist im Kern eine antisemitische Partei«, sagt er – auch wenn die AfD das anders darstellt und sich als eine Art Schutzmacht der Juden gegen Übergriffe von Muslimen inszeniert.

Brandenburgs Juden haben es schwer. Sie sind doppelt benachteiligt und bedrängt – als Juden und als Migranten aus postsowjetischen Staaten. Dass Juden ausgegrenzt und verfolgt werden, sei für sie nichts Neues, bedauert Büttner. Das erlebten sie in den vergangenen Jahrhunderten mal mehr und mal weniger, gerade wieder mehr.

Büttner hat sich vorgenommen, Aufklärungsarbeit zu leisten. Schon jetzt erhält er nach eigener Aussage viele Anfragen, etwa bei Ausstellungseröffnungen Grußworte zu sprechen – und kommt dieser Bitte sehr gern nach. Zwei Stellen für Mitarbeiter hat er bereits bewilligt bekommen und zwei weitere beantragt. Das Auswahlverfahren läuft. Übergangsweise hat Büttner sein Quartier im Potsdamer Büro- und Geschäftshaus Wilhelmgalerie aufgeschlagen. Für den 6. April ist der Umzug in den Landtag geplant.

»Ich gehe davon aus, dass ich aufgrund meiner Aussagen nicht aus der Partei ausgeschlossen werde.«

Andreas Büttner Antisemitismusbeauftragter

413 Städte und Gemeinden sowie 14 Landkreise gibt es in Brandenburg. Der Beauftragte hat bei ihnen vorgefühlt, ob sie einem kommunalen Bündnis gegen Antisemitismus beitreten würden und hat Stand jetzt 70 bis 80 positive Rückmeldungen erhalten. Bis zur Nazizeit haben beinahe überall im Land Juden gelebt. Doch zuweilen seien sämtliche Spuren getilgt, beklagt Büttner. In Lenzen in der Prignitz etwa sei der alte jüdische Friedhof eingeebnet und das Bethaus abgerissen worden. Es gebe dort keine Gedenktafel, nicht einmal einen Stolperstein für jüdische Opfer des Faschismus. Das sollte anders werden.

»Aber es geht nicht nur um tote Juden«, betont Büttner. »Es gibt jüdisches Leben in Brandenburg und das muss deutlich sichtbarer gemacht werden.« Wie viele Juden in Brandenburg leben, vermag der Antisemitismusbeauftragte nicht genau zu beziffern. Nicht alle sind in einem der beiden jüdischen Landesverbände organisiert. Es gibt darüber hinaus beispielsweise noch die extrem orthodoxen Gesetzestreuen Juden. Angaben und Schätzungen, wie viele Menschen jüdischen Glaubens heute in Brandenburg leben, reichen von 2000 bis 5000. Synagen gibt es zwei – die neu gebaute in Potsdam und die zu einer Synagoge umgewidmete Kirche in Cottbus. Darüber hinaus existieren Bethäuser und Gebetsräume etwa in Potsdam, Oranienburg, Bernau und Frankfurt (Oder).

An die Sicherheit der Synagogen musste Büttner denken, als im Februar am Flughafen BER in Schönefeld ein 18-jähriger Tschetschene festgenommen wurde. Der junge Mann wohnte in Potsdam und wurde verdächtigt, einen Anschlag auf die israelische Botschaft in Berlin geplant zu haben. Das Ziel hätte genauso gut eine jüdische Gemeinde in Brandenburg sein können.

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