Algerien: Massenabschiebung in die Wüste

Algerische Behörden organisieren »inoffizielle« Konvois mit Geflüchteten nach Niger

  • Sofian Philip Naceur
  • Lesedauer: 4 Min.
Im nigrischen Assamaka leben 1500 Menschen. Die Aufnahme tausender abgeschobener Migranten aus Algerien könnte den Ort überfordern.
Im nigrischen Assamaka leben 1500 Menschen. Die Aufnahme tausender abgeschobener Migranten aus Algerien könnte den Ort überfordern.

Wieder einmal gehen algerische Behörden massiv gegen im Land lebende Geflüchtete vor. Zwar ist das Land für derartige Verhaftungs- und Abschiebewellen bekannt, das aktuelle Vorgehen ist trotzdem beispiellos. Nach Angaben der staatlichen nigrischen Medienanstalt Radio Télévision du Niger (RTN) schob Algerien zwischen dem 1. und dem 21. April 4975 Menschen in das südliche Nachbarland Niger ab. 2899 davon seien nigrische Staatsbürger, die anderen stammen demnach aus afrikanischen Staaten wie Senegal, Sudan, Somalia oder Tschad, aber auch aus Bangladesch.

Ein weiterer Abschiebekonvoi mit einer bisher unbestätigten Anzahl an Menschen erreichte die nahe der algerisch-nigrischen Grenze liegende Kleinstadt Assamaka im Norden Nigers erst am 25. April, berichtet das Netzwerk Alarme Phone Sahara, das neben nigrischen Behörden und Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen ebenfalls im mitten in der Sahara liegenden Grenzgebiet präsent ist. Seit Jahresbeginn sind laut dem Aktivist*innennetzwerk 6840 Menschen aus Algerien deportiert worden – der jüngste Konvoi noch nicht mit eingerechnet.

Ein erneuter humanitärer Ausnahmezustand wie schon 2023 steht damit fast unausweichlich bevor. Damals waren in nur drei Monaten mehr als 10 000 Menschen aus Algerien abgeschoben worden und in das rund 1500 Einwohner*innen zählende Assamaka geströmt. Die Hilfsinfrastruktur in der Stadt brach praktisch zusammen. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen konnten weder ausreichend Unterkünfte noch Lebensmittel oder medizinische Versorgung bereitstellen.

Die Abschiebekampagnen aus Algerien hatten bereits 2014 begonnen – damals noch sporadisch und nicht großangelegt. Seit 2017 erfolgen sie regelmäßig. Nachdem Algerien im Jahr 2021 insgesamt 27 208 Menschen in den Niger abgeschoben hatte, stieg die Zahl im Folgejahr auf 36 083, berichtet Ärzte ohne Grenzen.

Inzwischen ist auch die Umsetzung der massenhaften Ausweisungen bekannt: Algerische Behörden organisieren diese in sogenannten »offiziellen« sowie »inoffiziellen« Konvois. Bei ersteren überqueren mit ausschließlich nigrischen Staatsbürger*innen beladene Lastkraftwagen die Grenze und bringen diese in das rund 15 Kilometer entfernte Assamaka. Im Rahmen der »inoffiziellen« Maßnahmen werden Menschen anderer Herkunft an der Grenze in der Wüste ausgesetzt und sind gezwungen, nach Assamaka zu laufen.

Algeriens Regierung rechtfertigt die Massenabschiebungen unter anderem mit Verweis auf eine bilaterale Vereinbarung mit seinem südlichen Nachbarn aus dem Jahr 2014. Der Deal mit dem Niger umfasst aber lediglich Abmachungen über die Abschiebung eigener Staatsbürger*innen und damit die »inoffiziellen« Konvois.

Die Regierung in Niamey hatte seit 2017 zwar immer wieder gegen diese Praxis protestiert und 2024 gar den algerischen Botschafter einberufen – allerdings vergeblich. Nigrische Grenzbehörden setzen auch deshalb mittlerweile zunehmend auf Pushbacks. »Menschen, die nicht aus afrikanischen Ländern stammen, werden inzwischen systematisch von nigrischen Behörden nach Algerien zurückgeschickt. Betroffen sind zum Beispiel Menschen aus Bangladesch oder Jemen«, erklärt Azizou Chehou von Alarmphone Sahara gegenüber »nd«. Dass sich nun der Fernsehsender RTN in dem seit 2023 von einer Militärjunta regierten Niger prominent des Themas angenommen hat und Abgeschobene von Gewalterfahrungen in Algerien berichten lässt, verweist auch darauf, dass die Regierung in Niamey langsam die Geduld mit seinem nördlichen Nachbarn verlieren könnte.

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Der jüngsten Abschiebewelle vorausgegangen war eine Verhaftungskampagne gegen in Algerien lebende Geflüchtete. Polizeirazzien fanden sowohl im Norden des Landes als auch in Städten in Südalgerien statt. »Es ist wirklich heftig im Moment. Polizist*innen haben unzählige Unterkünfte von uns zerstört und alle Migrant*innen, die sie gefunden haben, mitgenommen«, erzählt ein Mann aus Kamerun dem »nd«, kurz nachdem er sich gerade noch vor einer Razzia im westalgerischen Oran retten konnte.

Auch in den Nachbarländern Algeriens gehen die Behörden seit letztem Jahr verstärkt gegen Geflüchtete vor. Die tunesische Nationalgarde vertreibt seit Anfang April gewaltsam die in selbstgebauten Zeltdörfern nördlich der Stadt Sfax lebenden Geflüchteten. Ihre improvisierten Behausungen wurden samt anderer Infrastruktur angezündet oder zerstört, aufgegriffene Bewohner*innen verjagt oder verhaftet. Auch aus Libyen wurden im April größere Verhaftungswellen gegen Geflüchtete berichtet. Während dortige Milizen die verhafteten Geflüchteten oft direkt in den Niger deportieren, verfrachten tunesische Behörden diese immer wieder nach Algerien. Die algerische Grenzpolizei wiederum schob die Menschen dann in sogenannten Kettenabschiebungen häufig direkt in den Niger ab.

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