»Nun die Schuhe anbehalten«
Manfred Coppik über Parteiwechsel, demokratischen Sozialismus, Willy Brandt und die neue Linkspartei
ND: In über vier Jahrzehnten haben Sie sich in unterschiedlichen Parteien für den demokratischen Sozialismus engagiert und sind ausgetreten, wenn die Differenzen zu groß wurden. Ist mit ihrem Engagement in der LINKEN die Abfolge von Parteiwechseln beendet?
Coppik: Eine Parteimitgliedschaft ist kein Selbstzweck. Ich habe mich immer der Partei angeschlossen, die in der konkreten Situation am ehesten den Weg zum demokratischen Sozialismus öffnete: für eine solidarische Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausbeutung, dafür aber mit demokratischer Teilhabe, sozialer Absicherung und Menschenrechten. Dazu musste ich einige Male die Parteien wie die Schuhe wechseln. Nun hoffe ich, die Schuhe behalten zu können.
Sie sitzen in der Bundesschiedskommission der LINKEN. Sind Sie prädestiniert, weil Sie anderswo mit der Führung angeeckt sind?
Meine Konflikte waren immer inhaltlich. Es gab nie Disziplinarmaßnahmen gegen mich. In der Kommission setze ich mich dafür ein, Konflikte vernünftig und solidarisch zu lösen.
Die Jusos Hessen-Süd, wo Sie politisch begannen, galten in den 60ern als Speerspitze einer Linkswende in der BRD. Stimmte das?
Der Juso-Bezirk Hessen-Süd hat bis zum Juso-Bundeskongress 1969 eine führende Rolle bei der Neuentwicklung sozialistischer Positionen innerhalb der Jusos gespielt und suchte den Schulterschluss mit der außerparlamentarischen Opposition – die »Doppelstrategie«. Ich selbst habe im Bezirksvorstand 1968 den Marsch auf Bonn gegen die Notstandsgesetze der Großen Koalition mit organisiert. Wir haben an Impulsen mitgewirkt, die später zu Willy Brandts »Mehr Demokratie wagen« führten.
Unter den Regierungen Brandt und Schmidt saßen Sie von 1972 bis 1983 im Bundestag und gerieten als »Abweichler« in Konflikt mit der Führung. Worum ging es?
Ich habe die Reformpolitik von Willy Brandt unterstützt und sie hatte – abgesehen vom Radikalenerlass, gegen den ich gekämpft habe und dessen Opfer ich später gewissermaßen selbst wurde – auch viele Erfolge: Friedenspolitik, Arbeitnehmerrechte, Liberalisierung des Abtreibungsparagrafen, Demonstrations- und Kriegsdienstverweigerungsrecht, Diskussion über Umweltschutz, globale Armut oder Verhältnis von Kapital und Arbeit. Mit der Ölkrise und dem Wechsel von Brandt zu Schmidt war es ab 1974 aus mit der Reformpolitik. Es folgten NATO-Aufrüstung, Abbau der Bürgerrechte, Steuergeschenke an die Reichen, Sozialabbau – eine Umarmung mit den Kapitalinteressen. So kam es wiederholt zum abweichenden Stimmverhalten von mir und anderen. Das störte nicht nur Kanzler Schmidt und Fraktionschef Wehner, sondern brachte auch »angepasste« Fraktionslinke in Rechtfertigungszwänge. Sie wollten an der Basis als Linke gelten, aber in Bonn dabei nicht erwischt werden. Auch Gerhard Schröder, 1980 als Linker in den Bundestag gewählt, machte sich auf den opportunistischen Weg von links unten nach rechts oben. Die »Abweichler« wurden isoliert, Karl-Heinz Hansen wegen seiner Kritik an Schmidt ausgeschlossen. Ich sah keine Möglichkeit mehr, etwas zu bewegen, und ging freiwillig. Nach 20 Jahren in der SPD ist mir dieser erste Schuhwechsel sehr schwer gefallen.
Manche meinen, auch Willy Brandt wäre über die WASG zur LINKEN gestoßen, wenn er noch leben würde. War Brandt, immerhin auch ein Urheber des Radikalenerlasses 1972, wirklich links? Hat er als SPD-Chef die Partei nicht auf Loyalität zur Regierung Schmidt getrimmt?
Natürlich war Willy Brandt eingebunden durch seine Funktionen. Aber er war geprägt durch Grundwerte und Erkenntnisse der Arbeiterbewegung. Den Radikalenerlass hat er später als Fehler bezeichnet. Ich selbst hatte einen positiven Bezug zu ihm. Für unsere Inhalte bekundete er wiederholt Sympathie. Aus den Erinnerungen des damaligen Bundesgeschäftsführers Peter Glotz weiß ich, dass Brandt im SPD-Vorstand ein Parteiausschlussverfahren gegen mich verhinderte. Wo stünde Brandt heute? Vielleicht hätte es keinen Kanzlerkandidaten Schröder gegeben, keine Agenda 2010 und keine WASG. Alles Spekulationen.
Der Konflikt mit dem SPD-Apparat führte 1982 zur Gründung der Demokratischen Sozialisten (DS). Warum verloren die DS so schnell ihre Existenzgrundlage?
Noch während des Gründungsprozesses der DS zerfiel die sozial-liberale Koalition; die SPD kam wieder in die Opposition und fand bald wieder die richtigen Worte über Frieden und soziale Gerechtigkeit. Der Zustrom von der SPD zu den DS versiegte. Die DS erzielten mit der Friedensliste bei der Europawahl 1984 noch einen Achtungserfolg und das war es dann. Die Grünen lehnten die DS als zu links ab.
In den 80ern engagierten Sie sich bei den Grünen. Wie kam es dennoch zum Bruch?
Die Grünen standen damals links von der SPD. Viele waren in der Umweltpolitik und Friedensbewegung engagiert. Also schnürte ich 1986 dort meine Schuhe. Der nachfolgende Anpassungskurs von Joschka Fischer gefiel mir ebenso wenig wie sein Umgang mit innerparteilichen Gegnern. Als grüner Stadtrat in Offenbach war ich in die Kommunalpolitik eingebunden. Entscheidend war nach dem Fall der Mauer die Regierungserklärung von Hans Modrow. Das war die Vision eines demokratischen Sozialismus. Ich sagte mir: Da musst du helfen. So ging ich zur PDS.
In der PDS wurden Sie Anfang der 90er Jahre Mitglied des Vorstands. 1993 traten Sie wieder in die SPD ein. Aus der Westausdehnung der PDS war nichts geworden. Hatten Sie zu wenig Geduld?
Aus dem Westen stieß am Anfang nur ein ganz kleines Segment der Linken zur PDS, das sich gegen linke Sozialdemokratie scharf abgrenzte. Ich selbst wurde als »nur radikaler Sozialdemokrat« ausgegrenzt. Die Art der Auseinandersetzung war auch nicht sehr motivierend. Ich war überzeugt, dass so der Westaufbau ohne Aussicht auf Erfolg war und die PDS nur regionale Ost-Partei bliebe. Bis zur Entstehung der WASG und der LINKEN war die PDS auf diesem Weg.
1995 fand Ihr Optimismus, dass sich die SPD wieder nach links bewegen würde, in der Wahl von Lafontaine zum Parteichef neue Bestätigung. 1999 trat Lafontaine zurück – und Manfred Coppik aus.
In die SPD bin ich wieder eingetreten, weil bei der Kommunalwahl 1993 im Nachbarwahlbezirk die Republikaner stärkste Partei wurden. Eine relative Massenbasis für die politische Auseinandersetzung bot nur die SPD. Große Hoffnung auf einen Linksruck der Gesamt-SPD hatte ich nicht, auch wenn ich Lafontaine schon damals schätzte. 1999 verließ ich die SPD an dem Tag, als in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg wieder deutsche Bomben auf Serbien fielen – verbunden mit einer unsäglichen antiserbischen Kriegshetze. Spätestens dann hätte ich auch die Grünen verlassen.
Dass es selbst in der Schröder-SPD noch gärte, zeigte 2003 das Mitgliederbegehren gegen die Agenda 2010. Doch die Initiatoren beerdigten das Projekt. Bildete dies den Nährboden für die WASG?
Ich habe große Achtung vor Ottmar Schreiner oder anderen, die in der SPD für eine linke Politik kämpfen. Ihr Dilemma: In einer Regierungs-SPD werden sie auf absehbare Zeit nicht zur Mehrheit. Sie müssen als Minderheit entweder kuschen oder Widerstand leisten. Das Zweite trägt den Keim der Abspaltung in sich. Die kam – auch wenn die Träger nicht aus der Spitze der »SPD-Linken« kamen, die die Abspaltung nicht wollte.
2004 traten Sie in die WASG ein. Warum blieb der WASG das Schicksal der DS erspart?
Erstens sind die Verhältnisse schlimmer als 1982 – das wahre Gesicht des Kapitalismus ist deutlicher erkennbar. Zweitens war die WASG von Anfang an stärker in den Gewerkschaften verankert. Drittens kam die SPD 2005 nicht in die Opposition. Viertens haben sich die Grünen als linke Kraft gerade in Sozialfragen völlig abgemeldet. Fünftens hat die WASG von Anfang an eine politische Meinungsbreite der Linken akzeptiert, die einer sektiererischen Einkapselung entgegenwirkte. Und sechstens hat das Bündnis mit der PDS eine solide Grundlage für die weitere Arbeit geschaffen.
Als Schröder und Müntefering 2005 Neuwahlen ankündigten, setzten Sie sich für eine gemeinsame Kandidatur von PDS und WASG ein. Wird die viel zitierte historische Chance jetzt genutzt?
Das will ich hoffen. Die LINKE wird ihre Chance nutzen, wenn sie weder einem sektiererischen Purismus noch dem Irrtum unterliegt, gestaltende Politik sei nur in Regierungsbeteiligung möglich, sondern – nicht nur in Parlamenten – mit Verstand und Leidenschaft für die Verbesserung der Lebensbedingungen und einen demokratischen Sozialismus streitet. Dabei darf sie nicht vergessen, dass dies nur im Konflikt mit den Kräften des Kapitals möglich sein wird.
Die LINKE kämpft um den Einzug in den hessischen Landtag. Sollte man sich überhaupt den Kopf über eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen zerbrechen, falls CDU und FDP keine Mehrheit erringen?
Natürlich. Es würde darum gehen, den Rechtsaußen Roland Koch abzuwählen, der einst mit dubiosen Mitteln Wahlsieger und Ministerpräsident in Hessen wurde. Aber es würde auch darum gehen, die eigenen Grundprinzipien bei einer Zusammenarbeit mit SPD und Grünen nicht aufzugeben. Das wäre eine schwierige Gratwanderung, vor der die LINKE aber nicht fliehen dürfte.
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