Der moderne Funktionalist

Eine Ausstellung in Dessau würdigt den Kommunisten Franz Ehrlich

  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 4 Min.
Alte Berliner
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In einem modernen Nachschlagewerk steht zu Franz Ehrlich neben den Geburts- und Sterbedaten der Vermerk »Chefarchitekt der SBZ«. Damit wird man dem verdienstvollen Wirken des Bauhäuslers sicherlich nicht gerecht. Er wurde am Dessauer Bauhaus geprägt, gehörte zu den engsten Mitarbeitern von Walter Gropius, Mies van der Rohe sowie Hans Poelzig, kam wegen seiner antifaschistischen Gesinnung ins KZ Buchenwald bei Weimar und gehörte nach 1945 zu den maßgeblichen Architekten im Osten Deutschlands. Die Palette seiner Leistungen reichte von der Leitung des Wiederaufbaus in Dresden sowie der Gestaltung der ersten Leip- ziger Messe über die Konzipierung der Möbelserie für die Deutschen Werkstätten Hellerau bis zur Projektierung großer Industriekomplexe sowie der Handelsvertretung der DDR in Brüssel. Dabei vertrat er stets einen moderaten Funktionalismus im Sinne einer sozialen Gesellschaft. Das war sein Markenzeichen.

Der Nachlass von Franz Ehrlich zählt inzwischen zum umfangreichen Bestand der Stiftung Bauhaus Dessau, die dem verdienstvollen Bauhäusler ab 17. Januar 2008 und damit wenige Wochen nach seinem 100. Geburtstag eine repräsentative Sonderausstellung widmet: »Franz Ehrlich – Der moderate Funktionalist«.

Die Exposition ist in fünf Bereiche gegliedert, die die Vielseitigkeit des Bauhäuslers dokumentieren. Vorgestellt werden seine Bauhausausprägung, der moderate Funktionalismus des Architektur-Ästheten, der Designer, der besonders in der Möbelgestaltung Großes leistete, der Maler sowie Grafiker mit seiner individuellen Formensprache und der gestalterische Universalismus des Architekten, Stadt-sowie Industrieplaners. Von besonderer zeitgeschichtlicher Bedeutung sind jene Möbel und Architekturentwürfe, zu denen Ehrlich während seiner Häftlingszeit im Konzentrationslager zwangsverpflichtet worden war.

Franz Ehrlich ist am 28. Dezember 1907 in Leipzig geboren worden, wo er bereits früh seine technische sowie künstlerische Begabung offenbarte und wegen seiner Herkunft allerdings nur die Volksschule absolvieren konnte. Nach der Ausbildung zum Maschinenschlosser, Maschinisten und Heizungsprüfer begann er 1926 ein Ingenieurstudium, ehe es ihn im Folgejahr an das Bauhaus in Dessau zog. Ehrlich erschloss sich die »Verbindung elementarer Form-, Farb-, Material- und Raumwerte«, fühlte sich schnell in der Malerei, Plastik, im Design sowie der Stadt- und Industrieplanung heimisch und entwickelte in der Auseinandersetzung mit ästhetischen Leitbildern seinen moderaten Funktionalismus mit sozialen Zielstellungen.

Seine Herkunft, seine soziale Determinierung und seine Moderne-Orientierung brachten ihn früh in Gegensatz zu den Nazis und bewogen ihn 1930 zur Mitgliedschaft in der KPD. Ehrlich, der nach der Ausstellungsgestaltung für das Bauhaus 1931 und Mitarbeit in den Büros von Gropius, van der Rohe sowie Poelzig ab 1933 in Leipzig als freischaffender Künstler wirkte, engagierte sich zusätzlich politisch bei der Herausgabe der antifaschistischen illegalen Zeitschrift »Junge Garde«. Das trug ihm 1934 die Verhaftung, Verurteilung wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« und die Überführung ins Zuchthaus Zwickau ein. 1937 kam er ins KZ Buchenwald, wo er sogleich in die Bauleitung des Lagers kommandiert wurde. Es folgten die Zwangsrekrutierung zum Strafbataillon 999, jugoslawische Kriegsgefangenschaft und der Aufbau eines Antifa-Schulungszentrums, ehe er nach seiner Freilassung 1946 als Chefarchitekt die Leitung des Wiederaufbaus von Dresden übertragen bekam.

Nun ging es Schlag auf Schlag. Ehrlich wirkte an allen Brennpunkten. Dazu zählten u.a. das Möbelprogramm für Hellerau, die erste Leipziger Nachkriegsmesse, Industrieprojekte wie die Niederschachtöfen in Calbe, die Werften in Stralsund sowie Wismar, das Kraftwerk Vockerode, die Maschinenfabriken in Chemnitz sowie Gera und der Ausbau des Rundfunkzentrums in der Berliner Nalepastraße. Er war überall unver- zichtbar, bekam zahlreiche Auszeichnungen, wurde auch mit dem Vaterländischen Verdienstorden geehrt. Zum 75. Geburtstag wurde ihm eine Werkausstellung in Dresden eingerichtet. Am 28. November 1983 starb Ehrlich. Bis zuletzt hatte er sich dem Aufbau der DDR verschrieben, deren Grenzen er jedoch zunehmend erkannte.

Die aktuelle Dessauer Ausstellung würdigt neben seinem ästhetischem Konzept und seiner Vielseitigkeit auch seine soziale Orientierung. Ehrlichs Schöpfungen entstanden nicht im Elfenbeinturm des Geistes. Sie waren lebensnah. Das macht ihn zu einem Hauptrepräsentanten des Bauhauses und seiner Zeit.

Die Ausstellung »Franz Ehrlich – Der moderate Funktionalist« ist bis zum 9. März geöffnet; bis zum 15. Februar Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr, ab 16. Februar Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Meisterhaus Schlemmer, Ebertallee 67, 06846 Dessau-Hoßlau.

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