Gescheiterte Einschüchterung
Kritischer EU-Korrespondent erhielt Recht / Belgien muss einlenken
Die Geschichte der EU und ihrer Behörden ist zugleich eine einzigartige Geschichte von Machtmissbrauch und Korruption. Der »berühmteste« Skandal, die »Eurostat-Affäre«, zog sich nicht nur über sieben Jahre hin, sondern führte im März 1999 sogar zum Rücktritt der gesamten EU-Kommission unter Jacques Santer. Die EU-Statistikbehörde Eurostat soll seinerzeit Millionenaufträge einigen wenigen Firmen zugeschanzt haben, die einen beträchtlichen Teil ihrer Gewinne auf Schwarzkonten umgeleitet hatten.
Der Sturz der Santer-Kommission führte zwar zur Auflösung der damaligen Korruptionsbehörde Uclaf, doch auch die Nachfolgeorganisation namens Olaf muss sich den Vorwurf gefallen lassen, oftmals nur als Anhängsel der EU-Kommission zu fungieren. Nach Auffassung einiger EU-Abgeordneten könne eine derart eingebundene und abhängige Organisation niemals wirksam gegen Betrug und Korruption im Inneren des europäischen Gebildes vorgehen. Die Kritiker äußerten die Vermutung, dass Olaf eher die Kommission vor Angriffen von außen schützen würde als konsequent gegen interne Schlampereien vorzugehen.
Tatsächlich lieferte die Behörde in der Folge mehr als einen Anhaltspunkt für derlei Befürchtungen. Der Journalist Hans-Martin Tillack vom »Stern« etwa hatte im Jahr 2002 weiter zu dem Skandal beim Europäischen Amt für Statistik recherchiert und darüber in mehreren Beiträgen berichtet. Tillacks Recherchen bezogen sich eben auf jene fiktiven Verträge und versteckten Konten der Behörde, die auch noch den Santer-Nachfolger Romano Prodi ins Schlingern brachten. Im Zuge der Ermittlungen von Olaf gegen Eurostat wurde Hans-Martin Tillack der Bestechung verdächtigt, weil sich seine Beiträge auf einige durchgesickerte Dokumente von Eurostat beriefen. Olaf setzte das Gerücht in Umlauf, ein Journalist habe für diese Informationen Geld bezahlt. Einen Beweis für diese Behauptung blieben die Fahnder allerdings bis zum heutigen Tage schuldig.
Tillack staunte nicht schlecht, als die belgische Polizei im März 2004 im Auftrag von Olaf in der Tür stand und sowohl sein Brüsseler Büro als auch die Wohnung durchkramte. Aktenweise transportierten die Beamten »Beweismaterial« ab und beschlagnahmten den Computer. In einem nachfolgenden Verhör wurde Tillack der Rechtsbeistand verweigert. Mit einem Schlag stand in der europäischen Hauptstadt die Frage nach dem Wert der Pressefreiheit und nach Quellenschutz auf dem Prüfstand.
Die Hoffnung der Behörde Olaf, die Sache werde irgendwann in Vergessenheit geraten, erfüllte sich nicht. Tillacks Auftraggeber ging in die Offensive und reichte zunächst eine Klage gegen Belgien ein, die umgehend abgeschmettert wurde. Schließlich rief der Verlag vor knapp zwei Jahren den Internationalen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg an, um dort klären zu lassen, ob mit der Beschlagnahme von Aktenmaterial gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtscharta verstoßen wurde und wie es sich in diesem Zusammenhang mit dem Schutz von journalistischen Quellen verhalte.
In der vergangenen Woche bestätigte die belgische Polizei nun, dass das Eigentum Tillacks umgehend zurückgegeben werde. Zuvor hatte der Straßburger Gerichtshof geurteilt, dass eine Anklage gegen den Reporter nichtig sei. Die Begründung: Die von Olaf inszenierte und von der belgischen Polizei durchgeführte Aktion habe das Recht Tillacks auf Redefreiheit verletzt. Die deutsche Delegation der linken GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament bezeichnete das Urteil nun als »Sieg für die Pressefreiheit und als Mahnung an die Mitgliedsstaaten der EU, die politischen Grundrechte ihrer Bürger zu respektieren und zu schützen«. Unliebsame Journalisten einzuschüchtern oder gar wegzusperren, seien Methoden, die in diesem Europa keinen Platz haben, äußerte die Sprecherin der Linken im EU-Parlament, Gabi Zimmer. Sie bezeichnete den Prozess als »eine Farce, die ganz offensichtlich darauf abzielte, einen Journalisten mundtot zu machen, der die Pfründe einiger Top-Beamter in Brüssel gefährdete«.
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