Tarifvertrag in Lidl-Brotfabrik

Positive Wendung nach Recherchen von Günter Wallraff

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Brotfabrik im Hunsrück, die wegen Ausbeutung ihrer Beschäftigten in die Schlagzeilen geraten ist, hat nun Fehler eingeräumt.

Die jüngste Undercover-Tätigkeit des Kölner Autors Günter Wallraff in der rheinland-pfälzischen Brotfabrik Gebrüder Weinzheimer hat wieder für viel Wirbel gesorgt. Einen Monat lang hatte der seit Jahrzehnten im Bereich von Industriereportagen tätige 65-Jährige mit falscher Identität, Oberlippenbart, Perücke und dem Aussehen eines Mannes Anfang 50 recherchiert und die miserablen Arbeitsbedingungen in der Brotfabrik im Hunsrückstädtchen Stromberg am eigenen Leib erfahren.

Nur wenige Tage nach den Enthüllungen sah sich der unerwartet in das Rampenlicht einer kritischen Öffentlichkeit geratene Besitzer des Betriebs, Bernd Westerhorstmann, gezwungen, mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) über die Arbeitsbedingungen und die Anerkennung der für die Großbäckereien in Rheinland-Pfalz gültigen Tarifverträge zu verhandeln. »Günter Wallraff hat uns mit seinen Enthüllungen über die skandalösen Arbeitsbedingungen sehr geholfen«, erklärte Heinz Süßelbeck, stellvertretender Vorsitzender des NGG-Landesbezirks Hessen/Rheinland-Pfalz/Saar, auf ND-Anfrage. Die Weinzheimer-Beschäftigten kommen jetzt in den Genuss einer stufenweisen Lohnerhöhung bis Anfang 2010 von insgesamt rund 25 Prozent, so der Gewerkschafter. Zudem hätten sie mit der Anerkennung des Manteltarifvertrags der Branche erstmals einen Rechtsanspruch auf eine 38-Stunden-Woche, auf Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, einen jährlichen Erholungsurlaub von bis zu 30 Arbeitstagen, ein Weihnachtsgeld in Höhe von 80 Prozent des tariflichen Monatsentgelts sowie einen Arbeitgeberbeitrag von 420 Euro jährlich für die tarifliche Altersvorsorge. Betriebsbedingte Kündigungen können während der Laufzeit der Tarifverträge nur ausgesprochen werden, wenn die zuständige NGG-Verwaltungsstelle Darmstadt-Mainz dem nicht widerspricht, berichtet Süßelbeck.

Weinzheimer wirbt im Internet mit einer langen Backtradition, dem Emblem eines stilisierten Brotlaibs und der Produktbezeichnung »Original Hunsrücker Brot«. Wallraff stellte allerdings rasch fest, dass in dem Stromberger Betrieb schon längst kein rustikales Bauernbrot mehr hergestellt wird, sondern ausschließlich Aufbackbrötchen zum Verkauf in Filialen des Lebensmitteldiscounters Lidl in ganz Europa. Die Fabrik habe den Kostendruck des berühmt-berüchtigten Großabnehmers an ihre Beschäftigten weitergegeben und noch üppige Überschüsse produziert. In seiner Reportage beschreibt der Journalist den Umgang mit den Fabrikarbeitern als »roh und menschenverachtend«. Der Betrieb sei eine »Brötchenhölle« voller Sicherheitsmängel. So sei etwa einem Beschäftigten, der auf dem Weg zur Arbeit einen Motorradunfall hatte, erst nach Ende der Schicht gestattet worden, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen. Dennoch habe der Betroffene die fristlose Kündigung erhalten. Wallraff berichtet außerdem von mangelhaften Hygienebedingungen, etwa Schimmelbildung und Kakerlaken im Produktionsalltag, verzichtet aber nach eigenen Angaben auf die Darstellung weiterer »Ekelgeschichten«. Er wolle nicht, dass der Betrieb aus hygienischen Gründen dichtgemacht werde. Vielmehr strebe er eine »grundlegende Änderung der Arbeitsbedingungen« an.

Der Weinzheimer-Chef gelobte Besserung. Er entschuldigte sich, wie der Webseite www.weinzheimer.de zu entnehmen ist, für »Fehler der Vergangenheit«.

Günter Wallraff berichtet am morgigen Dienstag, 19 Uhr, im DGB-Haus Frankfurt am Main auf einer Veranstaltung mit dem NGG-Vorsitzenden Franz-Josef Möllenberg über seine Erfahrungen. Einen Tag später hält er unweit von Stromberg im Kulturzentrum in Bingen um 20 Uhr eine Lesung ab.

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