Zeuge beim Akt der Zerstörung

Generalangriff auf die Gründerzeit: Der Chemnitzer Fotograf Michael Backhaus belichtet die Kehrseite des Stadtumbaus

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Zeuge beim Akt der Zerstörung

Als das alte Haus in sich zusammensinkt, steht das ältere Ehepaar andächtig und schweigt. Wie um dem Gebäude die letzte Ehre zu erweisen, hat der Mann den Hut abgenommen, hält ihn in seinen hinter dem Rücken verschränkten Händen. Das Paar verharrt lange und in Gedanken versunken. Dann setzt es sich zögerlich in Bewegung. Womöglich hat es sich vom früheren Wohnhaus verabschiedet. Michael Backhaus hat mit den beiden Abschied genommen – wie von vielen alten Häusern zuvor. »Ich möchte die Gestalt und Schönheit der Gebäude noch einmal festhalten«, sagt der Fotograf – »im Akt der Zerstörung«.

Michael Backhaus ist regelmäßiger Augenzeuge dieser Zerstörung. Anfangs holte er seine Kamera nur hervor, wenn er in seinem Stadtviertel zufällig Zeuge eines Abrisses wurde. Dann erlebte er, wie in Chemnitz immer mehr Wohnhäuser, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut worden waren, aus dem Stadtbild getilgt wurden. »Irgendwann nahm das bedrohliche Züge an«, sagt er. Inzwischen studiert Backhaus systematisch die Anzeigenspalten in den Zeitungen. Dort findet er oft Ausschreibungen zum »Abbruch von Wohngebäuden«. Erst, wenn die Bagger anrücken, rückt auch der Fotograf an. Er wolle, sagt er, die Häuser ablichten, »wenn die Wunden schon geschlagen sind«.

In den alten Häusern steckt viel Energie

Die brutale Metaphorik ist Absicht: Wenn über 100 Jahre alte Wohnhäuser mit stuckverzierten Fassaden und gewölbten Erkern aus dem Stadtbild verschwinden, leidet Backhaus. »Ein Jahrhundert ist für ein Haus keine Zeit«, sagt er. Dabei bewegen ihn beileibe nicht nur nostalgische Motive. Zwar gesteht der 1948 geborene Fotograf, der zwischen altem Kanapee und antiken Schränken in seiner Wohnung in einem 1954 gebauten Haus im Stil der klassischen Moderne lebt, seine tiefe Zuneigung für das »schöne Alte«. Die Zerstörung der Bausubstanz aber schmerzt ihn auch aus anderen Gründen: Zum einen steckten in den Gebäuden »viel Energie und Ressourcen«, was Abriss ökologisch widersinnig mache. Zudem drohe die nach massiver Kriegszerstörung mit alter Bausubstanz ohnehin nicht gesegnete Stadt durch den Abriss der Baudenkmäler ihr Gesicht vollends zu verlieren.

Freilich: Backhaus' Plädoyer für Gnade gegenüber den alten Mauern stößt bei den Verantwortlichen in der Stadt auf Unverständnis. Sie verweisen auf die Notwendigkeiten des Stadtumbaus, den der Fotograf – so ihr Vorwurf – allzu einseitig wahrnehme. Wie viele Städte in Ostdeutschland hat auch Chemnitz in großer Zahl Einwohner verloren. Die Folge ist ein erheblicher Wohnungsleerstand – nicht zuletzt im Altbau. Zwar wurden seit 1990 neben der Sanierung alter Quartiere und vieler Plattenbauten auch Tausende von Wohnungen abgerissen. Doch vor allem viele in Privatbesitz befindliche Häuser aus der Gründerzeit sind, weil die Eigentümer kein Geld oder kein Interesse haben, unsaniert und teils in einem katastrophalen Zustand. Vor allem in Sachsen ist angesichts dessen scharfer Streit entbrannt. Nicht nur die Sächsische Aufbaubank (SAB), bei der die Fördermittel für den Stadtumbau verwaltet werden, beklagt die zu hohe Dichte an Baudenkmälern, die zum Hindernis für den Stadtumbau werde. Genannt wird eine Zahl von bis zu 130 000 geschützten Wohngebäuden. Sachsen hatte sich zuletzt dafür stark gemacht, dass auch leerstehende Häuser aus der Gründerzeit mit staatlicher Förderung abgerissen werden dürfen, wenn sie außerhalb von Sanierungsgebieten stehen; eine Frage, die in der Bundespolitik heftig umstritten ist.

Mit vielen kleinen Maßnahmen betreibe der Freistaat bereits den »Angriff auf das sächsische Kulturerbe«, wettert Karl-Heinz Gerstenberg, Abgeordneter der Bündnisgrünen. Er verweist auf Regelungen, wonach Eigentümer künftig ein Drittel der Kosten für die Sicherung baufälliger denkmalgeschützter Gebäude tragen müssen. Diese seien jedoch bisher in der Regel gerade deshalb nicht saniert, weil die Besitzer kein Geld hätten. Das »Grundübel der gescheiterten Stadtumbaupolitik« seien ohnehin nicht die Denkmal-Wohnhäuser, deren Zahl Gerstenberg auf nur 60 000 beziffert, sondern der Umstand, dass parallel zum Abriss von 82 500 Wohnungen 40 000 neu gebaut worden seien. Der »ungezügelte Denkmalabriss«, so Gerstenberg, könne das »Problem des demografisch bedingten Leerstands nicht lösen«.

Keine Ausstellung auf dem Markt

Öffentlich debattiert wird über den künftigen Umgang mit den alten, leeren Häusern in Sachsens Innenstädten bisher selten; wenn, dann bleiben die Betroffenen meist unter sich. Backhaus hätte das gern geändert: Seine Bilder vom Abbruch wollte er auf dem Chemnitzer Markt zeigen – im Großformat auf Bauzäunen. Zwei Anläufe scheiterten aber am Veto der Verwaltung. Er sehe die Dinge, wurde ihm erklärt, zu einseitig.

Tatsächlich hat Backhaus keine Lust, dem Abriss der Häuser etwas Gutes abzugewinnen oder ihn mit Sanierungen und der Verschönerung von Quartieren andernorts aufzuwiegen. Nicht einmal einen morbiden Charme versprühen seine Bilder mehr – anders als in den 80er Jahren, als er schon einmal verfallene Gründerzeithäuser auf dem Chemnitzer Sonnenberg ablichtete, bevor diese Plattenbauten weichen mussten. Auf den damals entstandenen Bildern ist in den bröckelnden Treppenhäusern ein nackter Frauentorso zu sehen. Der sei »ohne Kopf und Herz«, sagt Backhaus. Der Kontrast zwischen sinnlicher Form und blätternder Farbe ist indes augenfälliger als die hintersinnige Anspielung auf den Charakter der Abrisse.

Heute zeigen die Fotografien, die Backhaus nun unweit des Marktes in einer Galerie ausstellt und die zum Teil demnächst in einer Publikation des den Stadtumbau kritisch begleitenden Chemnitzer »Stadtforums« gedruckt werden, nur noch den nackten Akt der Zerstörung. Allenfalls sind Passanten festgehalten. Anteilnahme, Trauer gar zeigen sie indes selten. Backhaus bedauert das. Wenn Häuser leerstünden, sei das kein Grund, »sie zu vernichten«, sagt er: »Man muss den Willen haben, sie über die Zeit zu bringen, und kreativ werden.« In der Ausstellung zitiert Backhaus das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz: »Was Jahrhunderte zusammengetragen haben an Reichtum, an Formen, an Phantasie, an Können und Wissen um die gute Stadt«, so heißt es in einem Text aus dem Jahr 1990, »das dürfen wir nicht verpassen und vergeuden (...) für kurzatmige politische Erfolge.«

Der Chemnitzer Fotograf Michael Backhaus will »Gestalt und Schönheit« von Abrisshäusern »noch einmal festhalten«. Auf dem Markt durfte er seine Bilder nicht ausstellen.
Der Chemnitzer Fotograf Michael Backhaus will »Gestalt und Schönheit« von Abrisshäusern »noch einmal festhalten«. Auf dem Markt durfte er seine Bilder nicht ausstellen.
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