Seit 9/11 der Schrecken

Die Bin Ladens – eine ganz normale arabische Familie?

  • Uwe Stolzmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war eine fast normale arabische Familie, ein Clan von Playboys und Geschäftsleuten. Der 11. September 2001 machte den Namen weltweit zum Begriff, zu einem Synonym für Schrecken: Bin Laden. Was ist das für eine Sippe, die den gefürchteten Terroristen hervorbrachte? Und: In welchem Verhältnis steht Osama Bin Laden, der Kopf von al-Qaida, zum Clan?

Steve Coll, Jahrgang 1958, suchte nach Antworten. Der Mann ist eine Autorität unter US-amerikanischen Journalisten: zweifacher Pulitzer-Preisträger, Ex-Mitherausgeber der »Washington Post«, derzeit Chef eines Think Tanks. Vor vier Jahren erschien seine Studie »Ghost Wars: The Secret History of the CIA, Afghanistan and Bin Laden«. Für sein Buch über die Bin Ladens hat Coll, unterstützt von einem Team, jahrelang im Umfeld des Clans recherchiert. Er und seine Leute führten 150 Interviews in sechzehn Ländern.

In einem Gespräch sagte der Autor, man könne das Spannungsfeld von Tradition und Moderne im Nahen Osten am besten durch das Prisma dieser Sippe verstehen. Mit seiner krimiartigen Dokumentation, die eher wie eine große Erzählung, keineswegs als trockenes Sachbuch daherkommt, belegt der Autor die These auf über 700 Seiten. Hauptfiguren der Erzählung sind einige Männer des Clans. Da ist der Vater, Mohammed (1908-1967), ein religiöser, zugleich weltoffener Mann. Als bitterarmer Einwanderer aus dem Jemen kommt er Anfang der Dreißiger Jahre nach Saudi-Arabien. Während des Ölbooms wird er hier zum Baulöwen mit Milliarden-Vermögen. (Laut Coll ist der Clan noch heute der »wichtigste Bauunternehmer in Mekka und Medina«.) Mohammed hat Dutzende Nachkommen. Er bemüht sich um die Integration seiner Söhne (und nur der Söhne, natürlich) in die westliche Welt. 1967 stirbt er beim Absturz des Familienfliegers. Zwei dieser Söhne – Salem und Bakr – machen »Bin Laden« zu einem internationalen Begriff. Salem, der Erstgeborene, leichtlebig und geschäftstüchtig, mit einem Faible für alles Amerikanische; er stirbt 1988 – ebenfalls bei einem Flugzeugunglück. Bakr wird Salems Nachfolger als Clanchef, ein pragmatischer frankofon angehauchter Ingenieur. Eine weitere Figur ist Yeslam Bin Laden, der irgendwann nach Genf zieht, Schweizer wird, um Designerartikel zu vermarkten.

Coll zeigt die Bin Ladens der Neunziger als Clan mit »einer erstaunlichen ideologischen Bandbreite«. Der Richtung Westen tendierende Teil der Familie umfasste damals »die Hälfte von Mohammeds 54 Kindern«. In den USA gehören ihnen Shoppingcenter, Wohnanlagen, private Gefängnisse. Sie finanzieren Filme in Hollywood, und einige Angehörige des Bin-Laden-Clans nennen George Bush senior und Jimmy Carter ihre Freunde. Kurz: Sie sind Protagonisten jenes Way of life, den das nunmehr berühmteste Clanmitglied heute so erbittert bekämpft.

Osama Bin Laden – Sohn Nummer achtzehn – ist die zentrale Figur des Gruppenbildes. Das Kind einer minderjährigen Mutter, bis 1993 Anteilseigner der Saudi Bin Laden Group. Ein weicher, höflicher Typ, fixiert auf einen apokalyptischen Glauben. Der Autor schildert die Radikalisierung, das Exil im Sudan ab 1992, dann die Afghanistan-Zeit seit 1996. Auch dieser Bin-Laden-Sproß ist (nach Coll) ein nüchtern kalkulierender Firmenboss – im Geschäft mit dem Tod. Ein moderner Mensch: Er telefoniert via Satellit. Er legt Wert auf PR. Er nutzt die Mittel des Westens für den Kampf gegen den Westen.

Von seiner Sippe wurde Osama Bin Laden bereits 1993 verstoßen – auf Druck des saudischen Königshauses. Wie steht sie heute zu ihm? Eine Schwester sagte 2001, er habe den »Namen der Familie beschmutzt«. Ermittlungen in den USA erbrachten keine Hinweise auf Verstrickungen des Clans in den Terror. Ein FBI-Analytiker schrieb 2003, es gebe »Millionen« Bin Ladens und »99,99999 Prozent gehören nicht zu den Bösen«. Bekommt er noch Geld? Steve Coll erwähnt »verdächtige Transaktionen einzelner Familienmitglieder«, er hat aber »keinen schlagenden Beweis«. Eine Ex-Schwägerin, die Schweizerin Carmen Bin Laden, meint: »Ja, er bekommt immer noch Geld in bar.« Und: »In dieser Familie bleibt ein Bruder ein Bruder, egal, was er getan hat«.

Zu den großen Stärken des Buchs gehören die farbigen Porträts, das ausgewogene Bild des Clans, der Reichtum an Daten, die Quellenverweise sowie der Stil – elegant und spannend wie gute Belletristik. Eine Schwäche ist die Detailverliebtheit, gerade im Privaten. Und natürlich bleiben etliche Fragen offen. Was macht Osama Bin Laden heute, wo lebt er? Und, vor allem: Wie wurde er zum Terroristen?

Steve Coll gibt auch das Interview einer US-Journalistin mit dem Mohammed-Sohn Abdullah aus dem Jahr 2002 wider. »Wissen Sie, was Osama Bin Laden zu dem Mann gemacht hat, der er heute ist?«, fragte die TV-Frau. Abdullah, der Bruder, erwiderte: »Ich wünschte, ich wüsste die Antwort auf diese Frage.«

Steve Coll: Die Bin Ladens. Eine arabische Familie. Aus dem Englischen von Werner Roller, Stephanie Singh und Violeta Topalova. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008. 736 S., br., 24,95 EUR.

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