Unspektakulär und kraftvoll

Gerhard Rommel zum 75. Geburtstag

  • Peter-Michael Diestel
  • Lesedauer: 3 Min.
»Der Eiserne Gustav« in Händen seines Schöpfers Foto (Ausschnitt): Simone Diestel
»Der Eiserne Gustav« in Händen seines Schöpfers Foto (Ausschnitt): Simone Diestel

Zu Beginn der Siebzigerjahre lernten wir uns kennen. Damals war seine Anne-Frank-Säule im mecklenburgischen Tessin aufgestellt worden und er arbeitete gerade an einem Denkmal für die Erbauer des Berliner Alexanderplatzes.

Die Bekanntschaft kam auf Umwegen zustande. Bei einem Besuch im Atelier des St. Petersburger Bildhauers Boris Worobjow war mir auch dessen Tochter begegnet, die Gerhard Rommel Modell für die Anne Frank gestanden hatte. So war die Neugier geweckt. Was mich schon damals an seinen Plastiken berührte, war sein Streben nach unspektakulärer, zugleich kraftvoller Schönheit der Menschen- und Tierdarstellungen, die Selbstverständlichkeit, mit der er – unbeeindruckt von Moden oder vom Schaffen anderer Bildhauer – seinen eigenen Weg ging. Bei ihm bildeten von Beginn an ein natürlicher, lustbetonter Drang nach plastischer Formung, ein solides Handwerk und ein ursprüngliches, von Freundlichkeit und Liebe geprägtes Menschenbild eine Einheit.

Die Wurzeln solcher Haltung liegen in seiner thüringischen Heimat, in Schalkau, wo er am 10. Februar 1934 geboren wurde. Er hatte die Fachschule für Angewandte Kunst in Sonneberg besucht und war als Keramikmodelleur tätig gewesen. In seiner Gesinnung ermutigten ihn Theo Balden und Heinrich Drake, die seine Lehrer an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee waren. Als er nach fünf Jahren freischaffender Tätigkeit schließlich Meisterschüler Fritz Cremers an der Akademie der Künste wurde, hatte er seine eigene Handschrift schon gefunden und Cremer bestärkte ihn darin. Gerhard Rommel gehört – neben Wieland Förster, Friedrich B. Henkel, Karl-Heinz Schamal u. a. – zu den noch lebenden Meisterschülern Cremers und setzt dessen geistiges Erbe bis in unsere Zeit fort.

Sein Werk ist vielgestaltig; es umfasst vollplastische Figurengruppen, Einzelfiguren, Porträts, Reliefs und Medaillen; er arbeitet in Bronze, Stein und Keramik; seine Bildhauerzeichnungen und Druckgrafiken bereiten nicht nur auf das plastische Werk vor, sondern sind durchaus eigenständig; in den Jahren nach 1990 wandte er sich verstärkt der Malerei in Aquarell und Ölkreide zu. Viele seiner Arbeiten sind in den Alltag der Menschen eingegangen, stehen in Parkanlagen oder im Berliner Tierpark: ein bezopftes Berliner Mädchen, ein Selbstbildnis mit seiner Tochter Meike oder eine Afrikanische Bergziege. Eine »Mutter und Kind«-Plastik wurde 1989 im Klinikgelände in Berlin-Buch aufgestellt. Sein Relief am Berliner Marstall erinnert an die Ereignisse der Novemberrevolution 1918. Im japanischen Nagasaki steht seine Stele der Völkerfreundschaft. Und wer vor dem 1985 als Konzerthaus wiedererrichteten Schauspielhaus auf dem Berliner Gendarmenmarkt steht, sieht auf der Giebelspitze das von ihm originalgetreu rekonstruierte Apollo-Gespann.

Doch manches überstand den Wende- und Nachwendevandalismus nicht. Eine mehrfigurige plastische Gestaltung »Die Illegalen« zu Ehren der Schulze-Boysen-Gruppe wurde demontiert und verschleppt. Nachfahren der Widerstandskämpfer fanden die Plastik nach langen Recherchen in einer Scheune bei Berlin und suchen nun nach einem neuen Standort. Auch drei seiner Reliefs für ein Bruno-Baum-Denkmal wurden entfernt. Solche und andere Erfahrungen konnten Gerhard Rommels Schaffensdrang nicht beeinträchtigen. Nach 1990 entstanden u. a. »Zwei Bären – Zur Wiedervereinigung Berlins«, zahlreiche weitere Tierplastiken, Europa-Medaillen, eine Medaillen-Serie »Zerstörte Figuren« und eine beeindruckende »Ikarus«-Medaille. Auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Straße im Berliner Bezirk Tiergarten steht seit dem Jahr 2000 sein »Eiserner Gustav«. Und in Gransee wurden vor vier Jahren zur Freude der Einwohner vor dem Ruppiner Tor seine lebensgroßen Bronzefiguren »Anna und Otto« aufgestellt.

Dass er die Fünfundsiebzig erreicht hat, merkt man seinem Werk nicht an. Es trägt sein humanistisches Denken in steter Frische in unsere widerspruchsvolle Gegenwart.

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