»Die Alternative heißt Rückabwicklung«

Jens Loewe: Die Finanzkrise erhöht den Privatisierungsdruck

  • Lesedauer: 6 Min.
Jens Loewe ist Autor, Referent und Aktivist
Jens Loewe ist Autor, Referent und Aktivist

ND: Die am Sonntag begonnene Weltwasserwoche in Stockholm gilt seit ihrer Gründung 1991 als ein wichtiges Forum zur Diskussion der globalen Wasserproblematik. Die Woche steht unter dem Motto: »Antworten auf den Globalen Wandel: Zugang zum Wasser als öffentlichem Gut.« Wie ist es um diesen Zugang bestellt?
Loewe: Aus meiner Sicht schlechter denn je. Die Privatisierungswelle wird nach meiner Überzeugung weiter zunehmen. Denn die Finanzkrise führt dazu, dass der Wettlauf um den privaten Zugriff auf die Ressourcen wie Wasser immer stärker werden wird, weil hier ungeheure Werte vergraben liegen. Die Privatisierung des Eigentums an Wasserressourcen – sei es die Wasserversorgung einer Stadt oder Flüsse, Seen oder Quellen – geht ja in aller Regel mit einer Monopolstellung einher, die lukrative Gewinne bietet. Das befeuert die Privatisierungswut.

Wasser hat bekanntlich extremes Konfliktpotenzial. In Ostdeutschland ist die Seenprivatisierung vielen ein Dorn im Auge. Was spielt sich jenseits der Obertendenz Privatisierung ab?
Die Kollateraltendenz ist, die Rechte, die mit diesem Erwerb verbunden sind, immer mehr auszuweiten. Das zeigt exemplarisch der Seenverkauf in Ostdeutschland, der über die Treuhand-Nachfolgegesellschaft BVVG abgewickelt wird. Da wird mit Unwahrheiten operiert. Zum Beispiel hat die BVVG am 11. August eine Pressemeldung herausgegeben, in der sie sagt, dass sie nur Wälder und Ackerland verkauft. Das stimmt nicht, denn sie verkauft auch Seen. Außerdem behauptet die BVVG, dass der öffentliche Zugang zu den Seen uneingeschränkt ist. Ich behaupte, dass das so nicht stimmt, denn der Wandlitzsee wurde zum Beispiel an einen Düsseldorfer Anwalt verkauft, der einen 25-Meter-Uferstreifen als eigentumszugehörig gefordert hat und dies auch von einem Gericht bestätigt bekam. Der Zoff um die Uferstreifen wird weitergehen.

Die BVVG hat doch gerade ein Moratorium verhängt
Ja. Im Moment sollen keine weiteren Seen verkauft werden. Ich halte das für ein wahltaktisches Manöver. Man wartet die Bundestagswahlen ab und dann wird das unvermindert weitergehen. Doch das lenkt vom generellen Problem ab. Warum muss ein reiches Land wie Deutschland überhaupt seine Seen verkaufen? Seen sind unzweifelhaft Naturressourcen, die für die Allgemeinheit da sind. Die BVVG hat durch den Seenverkauf ein paar Millionen Euro eingenommen und dafür den Verlust der Seen als öffentliches Eigentum in Kauf genommen. Auf der anderen Seite gibt der Staat 100 Milliarden Euro zur Bankenrettung aus. Es ist offensichtlich eine Frage des politischen Willens.

Die Tendenz zur Privatisierung ist nicht ungebrochen. In Argentinien, Uruguay und Bolivien wurde die Wasserversorgung wieder in die öffentliche Hand gebracht. Wie steht es um die Rekommunalisierung in Deutschland?
Vorab: Es gibt immer Alternativen, auch wenn gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass die Wasserprivatisierung nötig sei. Die Standardargumente sind, dass die Kommunen kein Geld mehr haben und verkaufen müssen und dass die Konzerne das alles besser und schneller können. Die Erfahrung zeigt etwas anderes: Mehr oder weniger überall auf der ganzen Welt stiegen nach der Privatisierung die Preise für die Anschlüsse und den Verbrauch. Da die Konzerne gewinn- und nicht kostendeckungsorientiert arbeiten, wie es bei öffentlichen Unternehmen möglich ist, liegt der Preisanstieg in der Natur der Sache. Die Alternative heißt Rückabwicklung. Rückabwicklungsinitiativen gibt es in der ganzen Welt – ob in Lateinamerika, Asien oder in Deutschland. In Deutschland sind die bekanntesten Streitfälle Berlin und Stuttgart, wo die härtesten und unvorteilhaftesten Wasserprivatisierungen stattgefunden haben. In Stuttgart gibt es den einmaligen Fall, dass die Gas-, Strom- und die Wasserversorgung zu 100 Prozent verkauft wurden. Das Stuttgarter Wasserforum arbeitet seit sechs Jahren an der Rückabwicklung. Im Jahr 2013 laufen die Konzessionen ab. Wir haben jetzt ein Bürgerbegehren mit dem Ziel gestartet, die Politik im Rathaus darauf zu verpflichten, dass sie die Konzessionen an den Konzern EnBW nicht verlängert und dass nach Auslaufen der Konzessionen Gas-, Wasser- und Stromversorgung wieder in die öffentliche Hand zurückfallen und in Form von Stadtwerken als Eigenbetrieb betrieben werden. Aufgeben gilt nicht.

Links:
www.s-wasserforum.de
www.hundert-wasser.org

Wasser in Bürgerhand / W!B:
www.wasser-in-buergerhand.de


Virtuelles Wasser

In einer Tasse Kaffee stecken 140 Liter Wasser – »virtuelles« Wasser. So wird das Wasser bezeichnet, das bei der Erzeugung des Kaffees verbraucht wird. Und pro Kilogramm Röstkaffee sind dies im weltweiten Durchschnitt 22 500 Liter. Dies ist eine von vielen Zahlen aus der Studie »Der Wasser-Fußabdruck Deutschlands«, die der Umweltverband WWF Anfang August veröffentlicht hat.

Deutschland trägt durch die Einfuhr von Produkten aus dem Ausland erheblich zum globalen Wassernotstand bei. Rund die Hälfte des jährlichen Wasserbedarfs Deutschlands von 160 Milliarden Kubikmetern werde über ausländische Güter importiert, teilte der WWF mit. Jeder Deutsche verbrauche somit pro Tag knapp 5300 Liter Wasser, etwa 25 Badewannenfüllungen. Die Studie berücksichtige auch den Wasserverbrauch, der für die Produktion von Gütern des Alltags über den gesamten Herstellungsprozess hinweg benötigt werde. Der WWF bezeichnet dies als den »Wasser-Fußabdruck«, den Deutschland durch seinen Konsum hinterlasse. Der direkte tägliche Wasserverbrauch pro Kopf falle mit 124 Litern deutlich kleiner aus und sei in den vergangenen beiden Jahrzehnten sogar um 20 Liter gesunken.

Die Berechnung des »Wasser-Fußabdrucks« basiert auf demKonzept des virtuellen Wassers, das in den neunziger Jahren von dem britischen Wissenschaftler John Anthony Allan (72) entwickelt wurde. ND

Zahlen und Fakten

Knappes blaues Gold

In vielen Regionen der Welt ist es um die Versorgung mit sauberem Trinkwasser noch schlecht bestellt. Bevölkerungswachstum, schlechtes Wassermanagement und ökologische Probleme stellen die Weltgemeinschaft vor immer schwierigere Aufgaben.

Nur 2,5 Prozent des Wassers sind Süßwasser. Davon sind wiederum nur weniger als 0,6 Prozent gut zu erschließen, Flüsse, Quellen, Grund- und Regenwasser. Das übrige Süßwasser ist gebunden, z. B. in Polkappen und Gletschern und nicht ohne weiteres nutzbar. Dennoch würde bei geeigneter Bewirtschaftung nach Aussagen der UN das auf der Erde vorhandene Wasser für alle Menschen reichen. Derzeit können sich 1,1 Miliarden Menschen nicht ausreichend mit sauberem Trinkwasser versorgen, und 2,6 Milliarden Menschen sind nicht an ordentliche Abwassersysteme angeschlossen. Nach UN-Angaben sterben täglich 6000 Menschen – darunter 4000 Kinder – weil sie verschmutztes Wasser getrunken haben.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO befürchtet, dass bis 2025 rund 1,8 Milliarden Menschen in Regionen leben werden, in denen absoluter Wassermangel herrscht. Bis dahin wird die Wasserversorgung für zwei Drittel der Weltbevölkerung äußerst schwierig. Schon jetzt leiden die Ärmsten der Welt unter akutem Trinkwassermangel. Die Hälfte der Betroffenen lebt in China und Indien. Die Landwirtschaft verschlingt 70 Prozent der weltweit in Seen, Flussläufen und unterirdischen Wasserspeichern vorhandenen Frischwasserressourcen. In zahlreichen Entwicklungsländern wird der Anteil sogar auf 90 Prozent geschätzt.

Im vergangenen Jahrhundert ist der Wasserverbrauch mehr als doppelt so stark angestiegen wie der Bevölkerungszuwachs.

ND

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