Gefährlicher Babyspeck
Mit dem Gewicht von Neugeborenen steigt auch das Krankheitsrisiko
Mit einem Geburtsgewicht von 5100 Gramm war Hannah im Krankenhaus der Star. »Zuerst hat die Hebamme nur gelacht und gerufen: Was für ein Wonneproppen!«, berichtet die Mutter. Dann seien Hebammen, Schwestern und Ärzte gekommen um zu staunen.
In Deutschland ist der Anteil großer und schwerer Babys beträchtlich gestiegen. Als Normgewicht gelten hierzulande knapp 3400 Gramm. Aber bereits jedes zehnte Baby wiegt mehr als vier Kilo, wie Prof. Klaus Vetter, Chefarzt für Geburtsmedizin am Vivantes-Klinikum Berlin-Neukölln, erklärt. Nach Zahlen der Techniker Krankenkasse ist die Quote deutlich übergewichtiger Neugeborener, die 4500 Gramm und mehr wiegen, von rund 1,7 Prozent im Jahr 2004 auf knapp drei Prozent im Jahr 2007 gestiegen. Allerdings gibt es deutliche regionale Unterschiede: Nach Erhebungen eines Rostocker Klinikums sind Babys im Nordosten Deutschlands am schwersten. Das mittlere Geburtsgewicht lag in Mecklenburg-Vorpommern zwischen 1995 und 2000 bei 3440 Gramm. Das saarländische Durchschnittsbaby wog nur rund 3280 Gramm. Nordrhein-Westfalen lag im Mittelfeld. Grund für das Nord-Süd-Gefälle sind offenbar genetische Faktoren: Im Norden sind die Menschen im Schnitt größer als im Süden.
Nicht nur die Geburt ist bei großen, schweren Kindern in der Regel riskanter. Auch die Gefahr, später im Leben übergewichtig zu werden und die Stoffwechselkrankheit Diabetes zu bekommen, ist bei Riesenbabys deutlich erhöht. »Ab einem Gewicht von 4,5 Kilo wird die Geburt für eine normal gebaute Frau schwierig«, erklärt Edith Wolber, Sprecherin des Deutschen Hebammenverbandes. Es kommt leichter zu Komplikationen, zum Beispiel, dass das Baby mit der Schulter im Geburtskanal stecken bleibt. Häufig werden die Kinder daher per Kaiserschnitt ins Leben geholt. Somit ist die Zunahme an Geburtsgewicht auch ein Grund für die drastisch wachsende Kaiserschnittrate in Deutschland.
Dass die Zahl übergewichtiger Neugeborener steigt, hat mehrere Gründe. »Eine wichtige Rolle spielt, dass Mütter bei der Geburt immer älter sind«, sagt Vetter. »Mit zunehmendem Alter isst man sich auch mehr Gewicht an, außerdem sind Stoffwechselerkrankungen dann häufiger.« Gefährlich ist insbesondere der Schwangerschaftsdiabetes, unter dem übergewichtige, ältere Schwangere öfter leiden. Dann enthält das Blut zu viel Zucker, der als Überdosis Glukose vom Baby aufgenommen wird. In der Folge produzieren die Babys zu viel Insulin. »Insulin ist ein Wachstumshormon«, erklärt Vetter. Eine Überproduktion führt beim Baby dazu, dass die Knochen stärker wachsen als normal.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) macht vor allem Überernährung in der Schwangerschaft für die steigende Zahl dicker Neugeborener verantwortlich. Genetische Faktoren spielten offenbar eine nur untergeordnete Rolle, heißt es im Ernährungsbericht 2008. Das belege auch eine britischen Studie: Es zeigte sich, dass sich das Geburtsgewicht von Kindern, die durch Leihmütter ausgetragen wurden, stärker am Body Mass Index der Leihmütter orientierte als an dem ihrer natürlichen Mütter.
Viele Frauen sind schon vor der Schwangerschaft übergewichtig – laut DGE eine denkbar schlechte Voraussetzung. Andere nehmen in der Schwangerschaft stark zu, da sie offenbar »für zwei« essen: In den vergangenen 20 Jahren ist die durchschnittliche Gewichtszunahme bei Schwangeren in Deutschland um mehr als zwei Kilo angestiegen, wie aus dem DGE-Bericht hervorgeht. »Das Gewicht der Gesamtbevölkerung nimmt zu«, sagt Wolber. Vor allem in ärmeren Bevölkerungsschichten sei Übergewicht ein Problem: »Je ärmer, desto höher das Körpergewicht.« Noch immer sei vielen Frauen nicht klar, dass der Energiebedarf in der Schwangerschaft nur um 200 bis 300 Kalorien pro Tag erhöht ist. Das entspricht in etwa einem Joghurt und einem Apfel.
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