Pauschaler Eingriff in Freiheitsrechte

  • John Philip Thurn
  • Lesedauer: 5 Min.
Pauschaler Eingriff in Freiheitsrechte

Ende Juli 2009 hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) ein in der Innenstadt von Freiburg geltendes Verbot für rechtswidrig erklärt, im öffentlichen Raum Alkohol zu trinken oder mitzuführen. Die Entscheidung ist überregional bedeutsam, denn quer durch die Republik testen oder propagieren Städte ähnliche Trinkverbote – zum Schutz vor alkoholbedingten Körperverletzungen, teilweise zugleich als Mittel gegen »Komasaufen« unter Jugendlichen.

Alkoholverbote nach dem Freiburger Modell sind zu diesen Zwecken ungeeignet und als pauschale Freiheitseingriffe abzulehnen:

Alkoholverbote sind kein effektives Mittel gegen Gewalt. Verbotsbefürworter behaupten, in Freiburg sei die Gewalt durch das Verbot deutlich zurückgegangen. Nach der Devise »Der Zweck heiligt die Mittel« genügt ihnen diese Behauptung zur Rechtfertigung. Dabei ist sie nicht einmal zutreffend: Die von der Stadtverwaltung vorgelegte Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) dokumentiert zwar im Verbotsbereich einen Rückgang von 82 auf 69 registrierte Gewaltstraftaten im ersten Halbjahr 2008, wobei über 50 Prozent der erfassten Täter alkoholisiert waren. Aber abgesehen davon, dass diese kleinen absoluten Zahlen seriöse statistische Aussagen unmöglich machen, differenziert die PKS nicht zwischen Delikten im öffentlichen Raum und solchen innerhalb von Diskotheken oder Privatwohnungen. Gegenüber dem VGH mussten Stadt und Polizei zudem einräumen, dass im fraglichen Zeitraum die Gewaltkriminalität in Freiburg insgesamt rückläufig war. In keiner Weise erfasst sind schließlich die ziemlich wahrscheinlichen Verdrängungseffekte in angrenzende Viertel, die nicht gleichermaßen von einer polizeilichen Sondereinheit überwacht wurden.

Mit populistischer Rhetorik behaupteten Polizeisprecher nach dem VGH-Urteil, nun könnten sie wieder erst dann eingreifen, wenn eine Straftat bereits erfolgt sei. In Wahrheit bietet das reguläre polizeiliche Instrumentarium – mit Maßnahmen von der reinen Ansprache über den Platzverweis bis zur Ingewahrsamnahme – jede erforderliche Handhabe, um unmittelbar bevorstehende Körperverletzungen zu unterbinden. Ein gezieltes Vorgehen gegen sich anbahnende gewalttätige Auseinandersetzungen ist sogar effektiver als ein pauschales Verbot, dessen Einhaltung ja nur mit großem Aufwand überprüft werden kann.

Alkoholverbote haben nichts mit jugendlichem »Komasaufen« zu tun. Verbote nach dem Freiburger Modell betreffen allein mitgebrachte Flaschen auf bestimmten Plätzen, sie legen es nicht darauf an, den allgemeinen Alkoholkonsum zu verringern. Wie viele andere meint Rolf-Ulrich Schlenker, Vorstandsvorsitzender der Gmünder Ersatzkasse (GEK), die jüngst eine Studie dazu präsentierte, dass »einseitige Verbotsstrategien« sogar kontraproduktiv wären: »Normalerweise führen sie zu Abwehrhandlungen und Ausweichstrategien. Wir sollten lieber die Präventionskultur als ein Verbotsklima fördern.« Dieselben Städte, die auf massive polizeiliche Maßnahmen setzen, kürzen allerdings häufig die Mittel für diejenigen sozialen Projekte, die sich dem Problem langfristig und sinnvoll widmen.

Alkoholverbote sind zu pauschal. Der Präsident des VGH brachte die Entscheidung so auf den Punkt: Für einen See werde auch kein allgemeines Badeverbot erlassen, wenn Nichtschwimmer ertrinken. Anders ausgedrückt: Schätzungsweise 99 Prozent der Menschen, in deren Freiheit ein Verbot eingreift, werden nicht gewalttätig. Deswegen sind Alkoholverbote per Polizeiverordnung oder Allgemeinverfügung derzeit rechtswidrig. Denn die gesetzlichen Bestimmungen – in Baden-Württemberg wie anderswo – erlauben nur Verbote eines Verhaltens, das »gefährlich« ist, also typischerweise oder regelmäßig zu einer Straftat führt.

Dieser Gefahrenbegriff ist keine Förmelei, sondern einer der Grundpfeiler des liberalen Polizeirechts: Er beschränkt die staatlichen Sicherheitsorgane und schützt so die bürgerlichen Freiheitsrechte. Niemandem darf unter Androhung von Bußgeld ein Verhalten verboten werden, das in aller Regel harmlos ist. Auch gesetzliche Spezialermächtigungen für Verbote schon im Vorfeld von Gefahren wären übermäßige Eingriffe in die Freiheitsrechte von ganz überwiegend ungefährlichen Menschen. In den wenigen Ausnahmefällen helfen gezielte Einzelmaßnahmen – ein Rettungsschwimmer also, kein allgemeines Badeverbot.

Alkoholverbote verletzen ein wichtiges Freiheitsrecht. Manche, die ansonsten der Sicherheitshysterie durchaus kritisch gegenüberstehen, fühlen sich von Alkoholverboten nicht betroffen und meinen, es gebe doch wichtigere Freiheitsverkürzungen. Wer so argumentiert, übersieht das allgemeine Prinzip, das hinter derartigen Verboten steckt: Es sind staatliche Gängelungen im Dienste von Sicherheit und Ordnung, zu denen die Betroffenen keinerlei Anlass gegeben haben. Wenn das Verhalten aller Menschen im öffentlichen Raum polizeilich derart reguliert werden kann, bloß weil »man nicht ausschließen kann«, dass Einzelne gewalttätig werden, lassen sich auch eine vollständige Videoüberwachung von Innenstädten und nahezu beliebige andere Maßnahmen rechtfertigen.

Alkoholverbote befördern eine fragwürdige »Aufwertung« von Städten. Ein selektives Vorgehen allein gegen mitgebrachten Alkohol – entgegen der eigenen Logik der Verbotsbefürworter, wonach Alkoholisierung per se zu Gewalt führe – offenbart die eigentlichen Ziele: Es geht um bestimmte Ordnungsvorstellungen von sauberen Räumen des geregelten kommerziellen Konsums – durchaus auch von Alkohol, zur Freude der Gastwirte. Wie die Verbotsbefürworter teilweise offen zugeben, verfolgen sie das Ziel, bestimmte Plätze für Touristen und andere Kaufkräftige attraktiv zu halten und deswegen tagsüber von Obdachlosen und Bettlern, nachts vor allem von lauten jungen Leuten zu »befreien«. Ein Alkoholverbot ist also ein Schritt hin zu einer Innenstadt nach dem Modell eines Einkaufszentrums.

John Philipp Thurn, geboren 1982, ist Jura-Doktorand und lebt in Freiburg. Er ist Redakteur der Zeitschrift »Forum Recht« und veröffentlicht zu verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Themen. Stellvertretend für den Freiburger Arbeitskreis kritischer Juristinnen und Juristen hat er gegen zwei Freiburger Alkoholverbote geklagt, die der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 28. Juli dieses Jahres für rechtswidrig erklärt hat.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.