Beim mythischen Riesen von Wolfersheim

Der Bliesgau im Saarland wurde im Mai zum UNESCO-Biosphärenreservat ernannt

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie hatten sich große Mühe gegeben. 3030 Steine türmten die Kelten über dem Toten auf, manche der Brocken rund 200 Kilo schwer, eine Last von insgesamt fast neun Tonnen. Über einen Kilometer weit hatten sie die Kalksteine herangeschleppt, um einen Verblichenen zu bedecken, der ihnen wohl nicht ganz unwichtig war.

Was sich heute in Größe und Anzahl der Todesanzeigen ausdrückt, im Aufwand des Grabschmucks, das zeigte sich vor über 2500 Jahren in der Höhe des Grabhügels. Und davon fanden die Archäologen eine ganze Reihe zwischen Rubenheim und Wolfersheim, zwei Gemeinden im Bliesgau, einem Landstrich im südöstlichen Saarland. Während vor allem die Bewohner Saarbrückens und Homburgs die vielfältige Gaulandschaft als Ausflugsziel und Wanderland schätzen, ist sie bundesweit nur wenig bekannt.

Idyllisch wie historisch

Das Gräberfeld im Schorn- und Kappelwald ist für etwa 80 Tote die letzte Ruhestätte, sie alle wurden ebenerdig in sargähnlichen Holzkisten bestattet, den Kopf stets nach Süden gerichtet. Insgesamt 33 Rund- und ein Langhügel konnten ausgemacht werden, angelegt von nur wenigen Familien, vermutlich allesamt Bauern, doch immerhin reichte es zu Grabbeigaben wie Schwertern, Rasiermessern und bei den Frauen etwas Schmuck.

Aufsehen erregte vor allem einer der Toten, der »Wolfersheimer Riese«. Sein Skelett maß im Boden 2,15 Meter, doch zwei Gutachten zufolge stütze es einen Mann, der es auf höchstens 1,95 Meter brachte – auch das eine mehr als stattliche Größe damals, als die Kelten der sogenannten Hallstattzeit hier lebten.

Der Bliesgau, benannt nach dem Flüsschen Blies, ist altes, geschichtsträchtiges Siedelland, sanftwellig, mit guten Kalksteinböden, die Bauern schon früh unter den Pflug nahmen. Kleine Mischwälder durchsetzen das Offenland und bieten Wanderern und Radfahrern an heißen Sommertagen willkommenen Schatten. Streuobstwiesen lockern die Hänge im Bliestal auf, und Kalkmagerrasen lassen Wärme liebende Orchideen wie Knabenkraut und Himmelragwurz blühen. Hier gibt es noch bunte Blumenwiesen mit Salbei, Esparsette und Klappertopf und seltene, ansonsten viel weiter südlich verbreitete Schmetterlinge und Heuschrecken wie den Himmelblauen Bläuling oder die eifrig zirpende Bergzikade.

Diese Natur- und Kulturlandschaftsschätze ließen die Idee reifen, den Bliesgau zur Biosphärenregion zu machen, in der Natur- und Kulturschutz gefördert werden, aber auch regionales Wirtschaften mit neuen Job-Chancen für die Menschen der Region. Ende Mai hat die Wissenschaftsbehörde der Vereinten Nationen die Landschaft zur rund 360 Quadratkilometer großen »Biosphäre Bliesgau« geadelt – eines von nunmehr fünfzehn in Deutschland.

Fritz Ludwig Schmidt hat dem stillen Land in seinem 1983 erschienenen Buch »Malerisches Saarland« ein kleines Denkmal gesetzt, vor allem seinen Apfel- und Pflaumenbäumen, hier zu Lande »Äbbel- unn Quetschebääm« genannt: »Weil diese Bäume so einsam stehen, treibt der Wind sein Spiel mit ihnen, rüttelt sie, schüttelt sie, reißt sie hierhin und dahin, zwingt sie, sich zu ducken, knorrig zu werden«, schreibt der Autor darin.

Auch den Römern gefiel es an der Blies, und so errichteten sie Landhäuser und stellenweise größere Siedlungen. Schwarzenacker, eine römische Etappenstadt unbekannten Namens südlich von Homburg, soll vor 1800 Jahren so groß wie Worms und von fast 3000 Menschen bewohnt gewesen sein, bis es im Jahr 276 von den Alemannen zerstört worden ist.

Archäologische Entdeckung

Weniger bekannt sind die gallo-römischen Funde im grenzüberschreitenden Europäischem Kulturpark von Bliesbruck-Reinheim, einem lothringischen und einem saarländischen Dorf. Noch laufen die Ausgrabungen und das Projekt ist erst im Aufbau, doch schon seit einiger Zeit können Besucher des Archäologie-Parks in Reinheim neben dem Museum mit vielen Fundstücken die Reste einer palastartigen Villa mit ihrem sechs Hektar großen, ummauerten Wirtschaftshof besichtigen oder auf französischer Seite den gallo-römischen Vicus mit seinen Thermen und seinem Handwerkerviertel. In Sachen Wohnkomfort wurde dort schon vor fast zweitausend Jahren ein Lebensstandard erreicht wie erst wieder im 20. Jahrhundert. Schluss mit dieser Lebenskunst machten wie in Schwarzenacker die Germaneneinfälle des 3. und 4. Jahrhunderts. Auf deutscher Seite erheben sich auch die drei Hügelgräber einer keltischen Totenstadt über die Talebene, darunter jenes einer Fürstin, in dem goldene Kannen und mit Schmucksteinen besetzte Fibeln und Armreife gefunden wurden.

Am weitesten zurück in die Geschichte der Region reicht der Gollenstein, ein vermutlich rund 4000 Jahre alter Kultstein oder Menhir, der sich nahe dem teils barocken Kurstädtchen Blieskastel 7,5 Meter hoch in den Himmel reckt. Sein Name soll von colus (Spinnrocken) abgeleitet sein, jenem Stab am Spinnrad, von dem sich der Faden abwickelt, wurde jedoch auch schon mit »Goliaths Wetzstein« in Verbindung gebracht, was freilich viel schöner wäre.

Vermutlich älter als die Menhire in England oder der Bretagne, hat der Gollenstein in der Nazi-Zeit erstmals den Boden unter seinem Fuß verloren, als ihn die Wehrmacht bei Kriegsbeginn umstürzte, damit französische Kanoniere ihn nicht als Zielmarke für nahe gelegene Bunker des Westwall-Sperrwerks nutzen konnten. Unsanft umgelegt, zerbrach der anderthalb Meter dicke Stein. Dabei hatten die damaligen Machthaber ringsum noch eine magische »Thingstätte« errichten wollen. Wenigstens das blieb dem Monument erspart, und nach dem Krieg fügte man es sogar wieder zusammen und richtete es auf.

Wer sich dem Bliesgau mit dem Fahrrad nähern möchte, kann dies entlang des Bliestals besonders gut auf einem Weg, der die frühere Bahnstrecke Homburg-Blieskastel-Reinheim nachzeichnet. Sie verlief früher weiter über Saargemünd bis Straßburg. Sauber asphaltiert, gilt die Trasse Bahn-Romantikern als Beleg für den Niedergang ihrer großen Liebe, den Radlern freilich als fast steigungsfreie Einfallsroute in eine liebliche Landschaft, die noch wenig hat von sich sagen machen.

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