Der Folketing bindet die Regierung
In Dänemark ist Praxis, was in Deutschland undenkbar erscheint
Schon der Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von 1957 spricht von einer sich ständig vertiefenden Union der Mitgliedsstaaten. Dieses Prinzip wurde 1992 im Maastricht-Vertrag bestätigt und löste zum ersten Mal in der Geschichte der EU ein Nein in einem Mitgliedsland aus: Die dänische Bevölkerung verwarf den Vertrag in einem Volksentscheid. Er konnte schließlich 1993 nur in Kraft treten, indem Dänemark Ausnahmen zugestanden wurden.
Um dem Wunsch der Bevölkerung wie auch der einheimischen Parlamentarier nach Kontrolle der europäischen Politik nachzukommen, intensivierte der Europaausschuss des dänischen Folketing (Parlament) seither seine Arbeit. Er bezieht zu allen Fragen Stellung, bevor ein Minister oder der Ministerpräsident nach Brüssel reisen. Dieses Mandat bindet ihn bei den Verhandlungen über eine Direktive oder Verordnung. Dieses Verfahren, das es so ähnlich auch in Finnland und Österreich gibt, war in Dänemark schon länger üblich und wurde 2004 formal beschlossen.
Für die 17 EU-Ausschussmitglieder allein wäre die Vielzahl der Themen nicht zu schaffen. Vorbereitet wird ihre Entscheidung deshalb in den Fachausschüssen. Hier haben die Fraktionen die Möglichkeit, die Beschlussfassung für das Verhandlungsmandat eines Ministers frühzeitig zu beeinflussen. Die Ausschussmitglieder haben Zugang zu allen relevanten Unterlagen, auf denen der Regierungsvorschlag basiert.
Zeichnet sich eine parlamentarische Mehrheit für Änderungen der Regierungsvorlage ab, werden diese entsprechend eingearbeitet. Die Ausschussmitglieder haben diesen Einfluss ohne zusätzliche parlamentarische Debatte, da die Folketingabgeordneten in den allermeisten Fragen eine hohe Fraktionsdisziplin zeigen. Die Risiken bei diesem Verfahren für die Regierung sind überschaubar. Mit einer klaren Mehrheit im Rücken – wie in Dänemark in den letzten acht Jahren – ändert sich in der Regel nur wenig an ihrer Vorlage. Wird der dänische Vertreter in Brüssel überstimmt, muss er den Ausschuss darüber informieren.
Deutliche Grenzen sind dänischen Ministern durch die zum Maastricht-Vertrag hinterlegten Vorbehalte gesetzt. Auf einigen Gebieten wie Verteidigung und rechtliche Zusammenarbeit haben sie daher kaum Einfluss auf europäische Entscheidungen. In Dänemark werden die Vorbehalte mittlerweile zum Teil als hinderlich für die Durchsetzung von Interessen in der EU angesehen. Sie könnten nur durch eine neuerliche Volksabstimmung aufgehoben werden. Die ist jedoch nicht in Sicht, auch wenn darüber gelegentlich diskutiert wird.
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