Wahlkampf wie bei der Nationalen Front
Sachsens CDU steuert ohne Thema und ohne Streit zum Wahlsieg / Spannendste Frage: Sitzen wieder sechs Fraktionen im Landtag?
Für einen Moment sah es aus, als würde der Altkanzler tatsächlich über Landespolitik reden. Um eine »Tradition wiederzuerwecken und mehr daraus zu machen, braucht es viel Mut«, sagt Gerhard Schröder, und man ist geneigt, an seine SPD zu denken, die einst auch in Sachsen stark war, vor fünf Jahren aber auf 9,8 Prozent fiel. Das Debakel hatten die Genossen vor allem Schröder und dessen Agenda 2010 samt Hartz IV zu danken.
Aber darüber redet niemand an diesem Nachmittag auf dem Betriebshof der Lomma GmbH, eines Herstellers von Spezialanhängern, deren Firmenchef seinen Bekannten Schröder eingeladen hat, um an einem »Tag der Ausbildung« zu Schülern zu sprechen. Die SPD hat das flugs zum Wahlkampftermin erklärt – dem bislang einzigen mit Schröder, wie es stolz heißt. Vielleicht, so die Hoffnung, verhelfen die Bilder von Thomas Jurk, dem Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister, und dem Medienkanzler zu ein wenig Glanz und entscheidenden Stimmen. Bis zuletzt hofft die SPD, von der CDU noch einmal zum Regieren eingeladen zu werden, wenn man nur vor der FDP liegt – worauf Umfragen deuten.
Dass Schröder in Lommatzsch mit keiner Silbe auf die Landespolitik eingeht, macht nichts – auch die regierende CDU schweigt schließlich dazu. Er sei verwundert über den »themenlosen Wahlkampf«, kritisiert DGB-Landeschef Hanjo Lucassen und verweist auf erste sichtbare Folgen der Krise wie den Verlust vieler Stellen. Die Sachsen wollten daher »Antworten auf drängende Fragen zu Arbeit, Ausbildung und Bildung«.
Die CDU indes meint, die Bürger wollten vor allem beruhigt werden. »Keine Faxen für Sachsen«, heißt es daher auf Plakaten mit Stanislaw Tillich, der erstmals als CDU-Frontmann im Wahlkampf steht. Dass er den fast autark führt und politischer Kontroverse ebenso aus dem Weg geht wie den Kontrahenten, bringt diese auf die Palme. Tillich wisse wohl nicht, wie Wahlkampf funktioniere, wettert André Hahn, der für die LINKE Ministerpräsident werden will: »Er verwechselt das mit den Vorstellungsrunden der Kandidaten der Nationalen Front im Mai 1989.«
Hahns bissiges Bonmot ist eine letzte Anspielung auf Tillichs Vergangenheit in der Ost-CDU und im Rat des Kreises Kamenz, um die es vorm Wahlkampf viel Wirbel gab. Geschadet haben ihm die Vorwürfe, die der SPD-Abgeordneten Karl Nolle in einem Buch erhob, offenbar nicht. Die CDU stellte sie als Attacken eines Westdeutschen auf die Ostdeutschen dar, was zur Solidarisierung führte. So steht die seit 1990 regierende CDU vor dem erneuten Wahlsieg – obwohl unter ihrer Führung die Landesbank auf Grund fuhr, die »Sumpf«-Affäre dem Freistaat bundesweit zu unrühmlicher Aufmerksamkeit verhalf und Tillich-Vorgänger Georg Milbradt den Hut nahm. Zwar könnte die Union nach ihrer 41,1-Prozent-Schlappe von 2004 erneut leicht verlieren; womöglich fällt sie erstmals unter 40 Prozent. Zum Weiterregieren dürfte es für den »blassesten Ministerpräsidenten Deutschlands« (Hahn) aber trotzdem reichen – sogar zur Wahl zwischen zwei Partnern: Sowohl die Fortsetzung von Schwarz-Rot als auch ein Kabinett mit der FDP scheint möglich. Sollte es dafür reichen, könnte es Koalitionsgespräche im Eiltempo geben: Die CDU plant für 19. September einen Parteitag, rechtzeitig vor der Bundestagswahl eine Woche später.
Nicht sonderlich wahrscheinlich ist hingegen laut Umfragen die von Hahn selbstbewusst angepeilte Ablösung der CDU. Zwar erhält der LINKE Beifall für seine Forderungen zu Korrekturen im Schulsystem oder im Sozialbereich, auch betont er, die CDU habe das »moralische Recht verwirkt, das Land weiter zu regieren«. Bei den Wählern scheint das anzukommen: Die LINKE, die sich bisher in Sachsen als einzige Partei stets steigerte und 2004 auf 23,6 Prozent kam, legte in Umfragen zuletzt beständig zu. Nach einer Mehrheit zum Regieren aber sieht es derzeit nicht aus: Die Grünen werden bei rund sechs Prozent geführt und müssen hoffen, nicht die entscheidenden Stimmen an die Piratenpartei zu verlieren; und die SPD möchte lieber mit der CDU weiterregieren.
Dabei ficht es die Genossen nicht an, dass die versammelte Presse den Freistaat schon vor einer CDU-FDP-Koalition wähnt. »Die sollten sich nicht zu früh freuen«, heißt es in Lommatzsch in Anspielung auf die Wahlnacht 2004, als die SPD halb elf nach Einzug der Grünen zur Regierungspartei wurde. Derweil beteuert der Spitzenkandidat Jurk: »Wir werden uns keinesfalls entmutigen lassen.« Der Minister spricht über die Finanzkrise, aber auch dieser Satz klingt wie eine Anmerkung zum SPD-Wahlkampf.
Hoch über Jurk und dem Altkanzler kreist derweil ein Flugzeug mit einem Banner: »Wählt NPD!« Auch Schröders Route zum Startplatz seines Hubschraubers haben die Braunen zuplakatiert – wie faktisch alle Straßen in Sachsen. Die Materialschlacht und eine in fünf Jahren im Parlament erworbene Stammwählerschaft dürften wohl dafür sorgen, dass auch Sachsens nächstem Landtag wieder sechs Fraktionen angehören.
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