Wichtigtuer am Pranger
Debatte um Wahlbeeinflussung durch Twitter
Den gezwitscherten Sündenfall erlebte diese Republik nicht am jüngsten Wahlabend, sondern schon im Mai bei der Wiederwahl Horst Köhlers zum Bundespräsidenten. Einige Abgeordnete hatten das Ergebnis schon gut eine halbe Stunde vor dessen offizieller Bekanntgabe über die Kurzmitteilungsplattform Twitter im Internet verbreitet.
Soviel vorab, um nachvollziehen zu können, warum die Aufregung um die Verbreitung von Prognosen der jüngsten Landtagswahlen vor Schließung der Stimmlokale Parteienvertreter so erzürnt. Denn nach dem Lapsus bei der Bundesversammlung hatte die Politik laut über das Selbstdarstellungsgebaren mancher Parlamentarier geklagt und vor einer Wiederholung gewarnt. Teilweise waren diese Warnungen auch mit der Drohung verbunden, dass dem Verursacher eines solchen Vergehens eine Geldstrafe bis zu 50 000 Euro drohe.
Genutzt hat das offenbar nichts, und es sieht ganz danach aus, dass diejenigen, die in den letzten Monaten lauthals vor dem Internet als angeblich rechtsfreiem Raum gewarnt haben, dieses Medium selbst gerne als ebensolchen missbrauchen. Mancher Politprofi und auch mancher Journalist kann es sich eben nicht verkneifen, den Rest der Welt davon in Kenntnis zu setzen, dass er zu den Auserwählten gehört, die schon ein oder zwei Stunden vor Schließung der Wahllokale von den Meinungsforschungsinstituten über die Ergebnisse der sogenannten Nachwahlbefragung informiert wurden.
In den Zeiten vor Twitter war das nicht weiter schlimm; die Zahl der derart exklusiv Informierten dürfte zwar bei jeder Wahl in die Hunderte gegangen sein, aber den jeweiligen Wahlausgang hat das nicht beeinflusst. Diese Gefahr ist jetzt durchaus real, denn es wird immer einen Kreisvorsitzenden geben, der sich wichtig machen will. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsbundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, schlägt deshalb vor, die Demoskopen sollten die Ergebnisse einfach später an Politiker und Journalisten weiterleiten. Das hätte einen demaskierenden Nebeneffekt: Parteienvertreter hätten dann auch keine Zeit mehr, eine Stunde lang Sprechblasen für die Wahlniederlage einzustudieren.
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