Blaue »Hövelmänner« ärgern sich schwarz

Sachsen-Anhalts Polizeistrukturreform offenbart Mängel, der Minister sucht sich zu verteidigen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Umziehen ist zur Dauerbeschäftigung der Polizisten in Sachsen-Anhalt geworden. Erst verlangte die Polizeistruktur »Beamtenwanderung«, nun werden grüne gegen blaue Uniformen getauscht. Bringt das den Bürgern mehr Sicherheit?

Zuerst werden Polizisten im Norden ausgestattet, bis Ende 2011 alle 6000 im Land. »Vielen Kollegen wäre es wichtiger, wenn es statt neuer Uniformen Beförderungen geben würde«, mosert Karsten Schmidt. Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei bekommt allerlei zu hören, das mit der weitgehend verpatzten Strukturreform zu tun hat. Die wurde 2007 gestartet, um mit dem Neuzuschnitt der Kreise Schritt halten und näher beim Bürger sein zu können.

Man sollte nicht alles so negativ sehen, mahnte Landtags-Linksexpertin Gudrun Tiedge, nachdem sie gestern aus der Sitzung des Rechtsausschusses kam: »Etwas Gutes hat die Polizeistrukturreform bewirkt – sie hat unendlich viele Schwachstellen deutlich gemacht.«

Nicht nur die Bürger klagen über geringen Service, sogar Staatsanwälte empören sich über die wachsende Unfähigkeit der Polizei. Der Vize-Generalstaatsanwalt hat gar eine Brandschrift verfasst. Ergebnis? Eine gemeinsame Arbeitsgruppe. Die legte vor ein paar Tagen einen Bericht vor. Angeblich mit klaren Vorschlägen zur Verbesserung der Polizeiarbeit und für das Zusammenwirken von Justiz und Innenbehörden. Das Zwölf-Seiten-Papier interessiert höchstens Pharmaforscher, denn es wirkt besser als jede Schlaftablette.

Und so ist keineswegs klar, wie sich Erfolge bei der Verfolgung insbesondere von Computer- und Wirtschaftskriminalität einstellen sollen. Weit über 100 Strafverfahren können derzeit offenbar nicht eröffnet werden, weil der Polizei einfach die Kräfte und Mittel fehlen, sie aufzuklären. Mehr noch, man muss Verdächtige laufen lassen, weil man die zeitliche Beschränkung zur Auswertung von Beweisstücken nicht einhalten kann. Nach anerkannter Rechtsprechung dürfte die Auswertung jedoch nur sechs bis neun Monate in Anspruch nehmen.

Es geht wahrlich nicht nur um einen bekannten Fall, bei dem ein Mann verdächtigt wurde, Kinderpornografie zu besitzen. Bei einer Wohnungsdurchsuchung im Januar 2008 waren Gegenstände beschlagnahmt worden, die der Verdächtige bis heute nicht zurückerhielt. Der Fall ist geplatzt. Wer mehr Belege für die unhaltbaren Zustände in der Polizei sucht – der oberste Hallenser Ermittler gegen Kinderpornografie schmiss gestern die Brocken hin.

Gerne verweist das Innenministerium auf Teile der Kriminalstatistik. Doch gerade weil die auf den boomenden Kriminalitätsfeldern Internet- und Wirtschaftskriminalität einen Rückgang verzeichnet, sollten Alarmglocken läuten. Die scheinbar positive Entwicklung ist nur mangelnder Aufklärungsfähigkeit geschuldet, die durch Hövelmanns Strukturreform nur noch verstärkt worden ist, moniert die Gewerkschaft der Polizei.

Der kritikunempfindliche Minister kommt immer mehr in Bedrängnis. Auf einer eiligst einberufenen Pressekonferenz baut er mit Assistenz seiner höchsten Polizeiführer eine Verteidigungsfront auf. Trotzig versicherte Hövelmann gestern mehrmals, die Polizei »tut alles, um mit der technischen Entwicklung – auch von Kriminellen – Schritt zu halten«. Fachleute ergänzen mit einem Halbsatz: Ja, die Polizei tut alles, was sie kann ...

Und sie kann auch bei der Bekämpfung herkömmlicher Kriminalitätsfelder zu wenig. Weil Beförderungen so selten wie Eiswürfel in der Wüste sind, haben sich bereits zu Beginn der Reform zu viele auf zu wenige Führungspositionen beworben. Kompetenz blieb oft auf der Strecke.

So wie beim Minister selbst. Als ihm eine von ihm eingesetzte Expertentruppe gleich zu Beginn der Reform die Reduzierung der ehemals sechs auf zwei Polizeidirektionen – eine in Halle, eine in Magdeburg – vorschlug, wischte er das vom Tisch. Drei mussten es werden. Sonst hätte man ja gleich die Bezirksbehörden der Volkspolizei am Leben lassen können, hieß es. Zudem beugte er sich seinem Chef. Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) kommt aus der Dessauer Ecke – und da ist jetzt die dritte Direktion angesiedelt.

So hat vieles, was als Reform verkauft wurde, großen Abstand zu Fachlichem. Und vom Bürger. Statt 29 gibt es noch 14 Reviere, deren 24-Stunden-Besetzung mit Führungspersonal ist mathematisch, nicht lebensnah geregelt. Die Polizisten häufen Überstunde auf Überstunde, Schichtpläne sind nicht selten Futter für den Reißwolf. Die Ordnungshüter sehen für die Zukunft schwarz: Bis 2020 sollen auch noch 1500 Stellen abgebaut werden.

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