Als Max Danz zurücktreten musste
Heute vor 40 Jahren: Die Leichtathletik-EM in Athen und der Fall Jürgen May
16. September 1969: Zur Eröffnung der 9. Leichtathletik-EM im Athener Karaiskakisstadion marschieren auch die Nationalmannschaften der DDR und der BRD ein. Erstere werden mit Beifall empfangen, die anderen mit Pfiffen bedacht. Der Hintergrund: Die DDR hatte zwar ihre klare Distanz zum griechischen Militärregime bekundet, aber die Vergabe der EM an Athen akzeptiert. Die BRD wiederum hatte beschlossen, außer in den Staffeln keinen weiteren Athleten an den Start zu bringen – allerdings nicht wegen des Obristen-Regimes, sondern weil sie einen politischen Kraftakt gegen die DDR verloren hatte.
Die Vorgeschichte: Bei den EM 1966 in Budapest hatte sich der DDR-Mittelstreckenläufer Jürgen May seinen Start in den Schuhen einer bundesdeutschen Firma gut bezahlen lassen und war danach wegen dieses Verstoßes regelkonform gesperrt worden. Die Schuhfirma beschaffte ihm daraufhin einen falschen Pass, und May wechselte im Sommer 1967 in die BRD, in deren Mannschaft er nun bei den EM 1969 in Athen starten sollte. Dem stand aber das Reglement entgegen, wonach ein von Land zu Land wechselnder Athlet eine dreijährige Sperre zu absolvieren hat.
Am 25. August 1969 ließ der Präsident des Leichtathletik-Europakomitees, der Holländer Adrian Paulen, den Präsidenten des BRD-Leichtathletikverbandes, Dr. Max Danz (Foto: dpa), wissen, dass sich das Komitee an die Regeln halten und Jürgen May den Start verweigern werde. Das aber verschwieg Danz und eröffnete seiner Mannschaft erst während des Fluges in die griechische Hauptstadt, dass es »Schwierigkeiten« geben könnte, aber man werde durchsetzen, dass die Sperrfrist nicht für »Deutschland« gelte. In Athen angekommen, erhielt Danz seitens des britischen IAAF-Generalsekretärs Donald Pain die Bestätigung, dass May nicht starten dürfe.
Danz glaubte nun, dass eine Boykottdrohung der BRD die Funktionäre umstimmen werde und erreichte tatsächlich, dass die hinter May stehende Mannschaft mit 51:10 Stimmen beschloss, nicht an den EM teilzunehmen.
Zweimal begab sich der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes, der Brite David George Brownlow, ins Hotel der BRD-Athleten und erklärte ihnen die Sperrfristregeln – ohne Erfolg. Schließlich ließen die Griechen mitteilen, dass das Olympische Feuer vor den Spielen in München 1972 nicht in Griechenland entzündet werden dürfe, sollte die BRD-Mannschaft die EM boykottieren.
So fand kurz vor der EM-Eröffnung eine zweite Abstimmung im deutschen Team statt, bei der mit 29:27 Stimmen bei vier Enthaltungen beschlossen wurde, wenigstens an den vier Staffelrennen teilzunehmen. Als die Aktiven allerdings erkannten, dass sie für ein politisches Kräftemessen benutzt worden waren, zwangen sie Danz zum Rücktritt als Mannschaftsleiter.
»Die Welt« stellte fest: »Den Schaden haben die Aktiven. Den Schaden haben nicht zuletzt auch die etwa 3000 Leichtathletikfreunde, die aus der Bundesrepublik nach Athen gereist sind. Trotz aller Enttäuschungen können sie die Leistungen von deutschen Athleten begutachten. Deutsche Erfolge, Erfolge der Sportler aus der ›DDR‹.«
Die DDR-Mannschaft, in deren Reihen Sieger wie Sprinterin Petra Vogt, Stabhochspringer Wolfgang Nordwig, Geher Christoph Höhne, Kugelstoßer Dieter Hoffmann und Zehnkämpfer Joachim Kirst standen – wurde mit elf Gold-, sieben Silber- und sieben Bronzemedaillen vor der UdSSR (9/7/8) und Großbritannien (6/4/7) das erfolgreichste Land der EM.
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