Ende einer gefährlichen Illusion

Polens Regierende verhielten sich wie Vogel Strauß

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Nachricht, dass die USA auf die Errichtung von Raketenabschussrampen in Polen verzichten, wurde der polnische Regierung am Donnerstagvormittag während eines 90-minütigen Treffens mitgeteilt. Aus Washington war eine Delegation hoher Beamter des Pentagons und des State Departments angereist.

Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski verließ das Gebäude seines Ministeriums in der Warschauer Aleja Szucha, ohne ein einziges Wort zu verlieren, und ließ sich eiligst zu Premier Donald Tusk chauffieren. Wladyslaw Staszczak, Chef der Nationalen Sicherheitsbüros beim Staatspräsidenten, schlug wütend die Autotür zu und begab sich zu Lech Kaczynski, seinem Dienstherrn. Nach zwei Stunden sagte der Sprecher des polnischen Auswärtigen Amtes, Piotr Paszkowski, er könne den wartenden Journalisten nur raten, die offizielle Erklärung des US-amerikanischen Staatspräsidenten Barack Obama abzuwarten, denn es zieme sich nicht, diesem vorzugreifen. Auf Fragen, ob denn Premier Tusk, wie sein tschechischer Amtskollege Jan Fischer, einen Telefonanruf des USA-Präsidenten erhalten habe, sagte Paszkowski, er wisse davon nichts.

Das offizielle Polen verhielt sich so, als ob die Entscheidung zur Nichteinrichtung des »Raketenschilds« aus heiterem Himmel gefallen wäre. In den vergangenen Monaten hatten sich aber die Signale aus Washington gehäuft, die besagten, dass das Projekt nicht mehr aktuell sei. Ungeachtet dessen hatten die wichtigsten Vertreter der polnischen Regierung – mit dem Premier an der Spitze – den Eindruck zu vermitteln versucht, dass das am 20. August 2008 unterzeichnete polnisch-US-amerikanische Abkommen weiterhin gültig sei.

In den laufenden Nachrichten in TVN24 und TVP3 spekulierten am Donnerstagvormittag verschiedene Kommentatoren darüber, ob der Entschluss endgültig sei oder nur eine zeitliche Verzögerung bedeute, ob es lediglich finanzielle Gründe gebe oder ob dahinter eine »prorussische Politik« des US-amerikanischen Präsidenten stecke. Da, wie kommentiert wurde, die Entscheidung Obamas in Russland Genugtuung und sogar Freude erweckt habe, liege es nahe, dass die USA »vor den Russen kapituliert« hätten. Polen wie die ganze osteuropäische Region sei für die USA nicht mehr so wichtig wie während der Präsidentschaft George W. Bushs.

Polens Altpräsident Lech Walesa sagte auf dem Gdansker Flughafen vor seinem Abflug nach Irland, wo er für den Lissabon-Vertrag werben will, er habe so etwas erwartet, denn »die Amerikaner haben sich immer nur um ihre Interessen gekümmert und alle anderen ausgenutzt«. Polen müsse daher »seine proamerikanische Politik revidieren«.

Grzegorz Napieralski, Chef des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD), sprach von einer Niederlage der polnischen Rechten. Damit meinte er sowohl die regierende Bürgerplattform (PO) und insbesondere Außenminister Sikorski als auch die Kaczynski-Partei PiS. Deren Verhalten habe Polen in Europa lächerlich gemacht. Darauf konterte PiS-Sprecher Mariusz Kaminski, die Äußerung Napieralskis schade der polnischen Staatsräson. Stefan Niesiolowski, als PO-Vertreter befragt, sagte nur: »Tun wir doch nicht so, als ob wir einen Krieg verloren hätten.«

Derweil machten sich Tusk und Sikorski aus dem Staub. Sie flogen am Mittag zum EU-Gipfel. Verteidigungsminister Bogdan Klich war nicht auffindbar.

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