Diplomat ist nicht gleich Täter
Bismarck-Erben mit Teilsieg im Streit um Entschädigung
Es war eine Aufforderung zur Mitwirkung am Holocaust: Als Vizebotschafter Hitlerdeutschlands in Rom überbrachte Otto II. von Bismarck, der Enkel des Reichskanzlers, der italienische Regierung eine Note. Italien wurde darin aufgefordert, Tausende kroatischer Juden auszuliefern. Das hätte den sicheren Tod bedeutet. Von Bismarck soll darauf im Gespräch hingewiesen haben. Die Auslieferung kam nicht zustande – Italien, eigentlich Verbündeter des NS-Regimes, verzögerte sie mit bürokratischen Tricks.
Wie deutlich der deutsche Diplomat gewarnt hat, wird das Verwaltungsgericht Magdeburg ergründen müssen. Dorthin verwies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gestern ein Verfahren zurück, in dem die Erben von Bismarcks auf Entschädigung für ihren während der Bodenreform enteigneten Besitz klagen. Es geht um das Rittergut Schönhausen in der Altmark, für dessen Verlust ein Ausgleich von rund 130 000 Euro geltend gemacht wird. Daneben wird um Gegenstände aus dem Bestand des dortigen Bismarck-Museums gestritten.
Bislang geht die Familie leer aus. Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt lehnte den Antrag Ende 2007 ab. Grund: die prominente Stellung von Bismarcks in der NS-Zeit. Er habe als Diplomat »dem NS-System erheblich Vorschub geleistet«. Auf Klage hin bestätigte das Verwaltungsgericht im November 2008 diese Sicht. Verwiesen wurde vor allem auf Bismarcks Tätigkeit als Gesandter in Rom bis zum August 1943. Die Auslandsvertretungen seien in die Politik der Judenvernichtung einbezogen gewesen. Als exponierter Amtsträger sei von Bismarck von Ansprüchen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz ausgeschlossen.
Diese pauschale »Indizwirkung« gibt es für Diplomaten allerdings nicht, urteilte das Bundesverwaltungsgericht – anders als bei SS und Gestapo. In zwei früheren Urteilen hatte der 5. Senat entschieden, deren Mitglieder hätten prinzipiell dem NS-Regime »erheblichen Vorschub« geleistet und erhielten daher keine Ausgleichsleistungen. Das auf hohe Diplomaten auszudehnen, sei aber »nicht ordnungsgemäß«, sagte Michael Hund, der Vorsitzende Richter, gestern; der Magdeburger Richterspruch sei fehlerhaft und muss korrigiert werden.
In Magdeburg muss der Fall nun »in allen Einzelheiten geprüft und entschieden werden«, sagte Hund. Er betonte dabei, es sei unerheblich, ob von Bismarcks angebliche Warnung die bedrohten Juden tatsächlich gerettet habe. Das Verwaltungsgericht hatte argumentiert, die Italiener hätten die Auslieferung ohnehin gebremst – unabhängig von Interventionen. Die Bewertung von Bismarcks Verhalten vom Erfolg abhängig zu machen, sei aber eine »rechtsfehlerhafte Konstruktion«, sagte Hund, der auch betonte, den Bundesrichtern lägen nicht genügend Informationen vor, um ein abschließendes Urteil zu fällen: Man habe »in der Sache weder zugunsten noch zu Lasten der Kläger entschieden«.
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