Aus Medizinern werden Kaufleute
Demokratische Ärzte für mehr Planung und weniger Geldbeziehungen im Gesundheitssystem
ND: Es wurden Fälle bekannt, in denen Ärzte von Kliniken, in die sie Patienten überwiesen, Geld bekamen. Was kommt als Nächstes?
Dietrich: Dass Ärzte direkt für Patienten bezahlt werden, ist schon neu. Früher wurde man bestochen, um ein Arzneimittel oder ein Gerät zur verwenden. So gab es im Labor einen Rabatt, wenn man eine bestimmte Anzahl spezieller Untersuchungen dort machen ließ. In München haben Orthopäden einen Strohmann eine Röntgenpraxis betreiben lassen, in die sie die Patienten überwiesen haben.
Schwarze Schafe, die es in jeder Branche gibt?
Ich glaube, es ist schon eine andere Dimension. Wir haben uns in den letzten 20 Jahren dran gewöhnt, dass Medizin und Gesundheit Waren sind. Der Patient ist sozusagen der Warenträger – jemand, den man verwerten kann. Das gab es früher nicht so. Von daher ist es eigentlich folgerichtig, dass der Arzt partizipieren möchte, wenn er einem Krankenhaus einen solchen »Kapitalträger« überweist, an dem dieses vielleicht 1000 oder mehr Euro verdient.
Wann hat diese Entwicklung angefangen?
Das hat sich schleichend entwickelt, seit Horst Seehofer (CSU) 1992 Gesundheitsminister wurde. Zunehmend kam Geld direkt ins Spiel. Es ging los mit den Praxisgebühren. So wurde der Patient daran gewöhnt, dass er sein Portemonnaie mitzunehmen hat, wenn er zum Arzt geht. Das hat sich über die Zuzahlung weiter entwickelt, die IGeL-Leistungen. Inzwischen haben diese privaten Leistungen, die Patienten selbst bezahlen, Dimensionen von bis zu drei Milliarden Euro angenommen.
In der Klinik ist das Fallpauschalensystem eingeführt worden. Für bestimmte Diagnosen erhält das Haus bestimmten Summe. An manchen Diagnosen verdient es Geld, bei einigen zahlt es drauf. Logisch, dass das Krankenhaus die »guten« Diagnosen haben möchte.
Ärzte verurteilen Betrug, wo Gier im Spiel ist. Sie sagen aber auch, dass die Bedingungen zu schlecht geworden sind.
Selbst wenn es so wäre, geht es nicht an, dass solche Konflikte auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. Heute jammern Ärzte den Patienten vor, wie wenig sie angeblich verdienen, und im nächsten Moment empfehlen sie ihnen IGeL-Leistungen. Da wird der Patient natürlich skeptisch: Empfiehlt er das jetzt wegen seines Portemonnaies oder wegen meiner Krankheit? Um die Einkünfte der Ärzte ist es nicht schlecht bestellt.
Für die Spitzenverdiener, die Radiologen, gibt die Gesetzliche Krankenversicherung einen Jahresgewinn vor Steuern von über 230 000 Euro an. Aber man kennt ja die Geschichte vom See, der durchschnittlich 50 Zentimeter tief war – trotzdem ertrank die Kuh.
Sagen wir es mal ganz überspitzt: Um manche Kuh ist es nicht schade. In manchen Bereichen haben wir eine medizinische Überversorgung. In der Münchner Leopoldstraße sitzen in jedem Haus drei Ärzte. Mit welchem Recht können diese ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 120 000 Euro auf Kosten der Krankenkasse erwarten? So krank kann die Bevölkerung überhaupt nicht sein, dass diese ganzen Ärzte satt werden davon. Aber das Einkommen der Radiologen ist nicht das Durchschnittseinkommen der niedergelassenen Ärzte. Der Schnitt liegt weit darunter und viele müssen noch mit weniger auskommen. Die Zeit des dicken Geldes ist für die Ärzte, besonders für die ehrlichen Ärzte, vorbei.
Glaubt man der Politik, so wird alles unternommen, um Überversorgung abzuschaffen.
Das Gegenteil geschieht. Die Planungsbereiche werden zunehmend aufgelöst, es wird angedroht, dass ab 2011/2012 die Niederlassungssperren aufgehoben werden. Es gibt immer weniger Planung im Gesundheitswesen. Das muss man ändern. Medizin muss dahin kommen, wo sie gebraucht wird.
Bei mehr Planung werden viele ihrer Kollegen Einheitsmedizin oder gar Sozialismus wittern.
Das ist doch nicht das Schlimmste. Der Staat baut ja auch nicht zwei Grundschulen in die gleiche Straße. Es muss eine gewisse Planung im Gesundheitswesen sein, die wir schon über die Kassenärztlichen Vereinigungen haben. In gesperrten Bereichen darf sich nur der Arzt niederlassen, der eine Kassenpraxis kauft. Privatkliniken aber können sich gründen, wo sie wollen, und klagen sich dann in den Bedarfsplan der jeweiligen Bundesländer ein. In München eröffnete 2008 eine Privatklinik, 300 Meter neben der Uni-Klinik. In dieser werden Herzkatheteruntersuchungen vorgenommen, für die eigentlich kein Bedarf besteht. Wir haben in München mehr Herzkathetermessplätze als in ganz Norditalien, weil die frühere Planung für Großgeräte aufgehoben wurde.
Vielleicht sind die Leute sehr herzkrank in München?
Es gibt da keine Hinweise, auch nicht darauf, dass es ihnen durch die Überversorgung besser ginge.
Kann man die weitere Kommerzialisierung des Systems überhaupt noch verhindern?
Das geht, man muss es nur wollen. Die herrschenden Parteien wollen gerade das Gegenteil, weil sie meinen, über den Wettbewerb werde alles billiger und besser. Aber das müsste sich in den letzten zehn Jahren mal gezeigt haben.
Ärzte sind keine Banker. Sie haben den Eid des Hippokrates geschworen.
Ärzte sind ganz normale Menschen, wie Sie und ich. Und wo es mehr Geld zu holen gibt, da holt man sich das Geld.
Müssen wir mit noch mehr Korruption rechnen, weil die Kommerzialisierung weiter geht?
Das muss nicht zwangsläufig so werden. Die Frage ist, wie die Standesorganisationen das Problem in den Griff bekommen. Die Ärztekammern sind aufgeschreckt und werden in Zukunft sicherlich mehr aufpassen.
Die CDU hat ein Korruptionsgesetz ins Gespräch gebracht.
Ob das greift, weiß ich nicht. Aber es gibt immer Lücken, wo es Gesetze gibt. Auch in den jetzt bekannt gewordenen Fällen wurden Leistungen abgerechnet, die nicht erbracht oder überhonoriert wurden. Solche Möglichkeiten wird es wohl immer geben. In den medizinischen Versorgungszentren eröffnen sich neue Formen der Zusammenarbeit mit nichtärztlichen Berufen. Orthopäden können mit Physiotherapeuten kooperieren, Augenärzte mit Optikern. Da wird es immer möglich sein, dass mehr Geld fließt, als fließen müsste.
Sie sind im Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte um Veränderung bemüht. Mit Erfolg?
Wir merken zunehmend, dass man sich für unsere Vorschläge interessiert. Auch der Ärztekammerpräsident spricht ja sehr offen von der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Er zieht andere Konsequenzen als wir. Aber im Prinzip sieht er auch, dass es nicht gut ist, wenn Geld zwischen den Arzt und die Patienten tritt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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