Am Ende des Tunnels kommt es finster
Bahnunterquerung der City von Leipzig wird immer teurer – und nicht mal rechtzeitig fertig
Im Milliardengrab ist es angenehm kühl. Während oben die Sonne auf den frei inmitten einer staubigen Baustelle stehenden Portikus des Bayrischen Bahnhofs von Leipzig brennt, fächelt im Untergrund ein kühles Lüftchen. Vielleicht war das ein Grund, warum bei zwei Tagen des offenen Tunnels am vergangenen Wochenende Tausende Leipziger die Stufen in die Betonröhre hinabkraxelten, um dort andächtig in eine rohbaufertige Bahnstation zu schauen und über die sanft ansteigende Rampe wieder ans Tageslicht zu schlendern. Vielleicht wollten sie aber auch sehen, wo ihre Steuergelder vergraben werden – und zwar in einem immer verblüffenderen Umfang.
Zwar ist das Wort vom Milliardengrab formal noch nicht korrekt: Zur runden Summe fehlen 107 Millionen Euro. Beim Baustart 2004 waren die Kosten für die 4010 Meter lange Unterquerung der Leipziger Innenstadt jedoch auf lediglich 571,6 Millionen Euro beziffert worden – ein Betrag, der noch heute auf der Internetseite zum Projekt genannt wird. Der Preis für das Bauwerk, mit dem zwei Sackbahnhöfe verbunden werden und dessen verkehrstechnischer Nutzen umstritten ist, stieg indes seither um beachtliche 56 Prozent. Für die Mehrkosten muss überwiegend der Freistaat aufkommen. Kritiker reagierten mit Sarkasmus: Nachdem nun bereits 893 Millionen »im Tunnel-Jackpot« lägen, werde wohl bald die Milliarde fällig sein, die ihre Fraktion längst prognostiziert habe, sagten die LINKE-Landtagsabgeordneten Volker Külow und Dietmar Pellmann.
Die Gründe dafür, dass im Leipziger Untergrund viel mehr Steuergelder verbuddelt werden als ursprünglich geplant, sind vielfältig. 81 Millionen hätten die Korrekturen von ersten, »sehr mangelhaften« Planungen gekostet, zitiert die Leipziger Volkszeitung einen Manager des bundeseigenen Projektsteuerers Deges. Die dafür zuständige Firma ist ebenso pleite wie die Walther Bau AG, die offenbar bei den Fundamenten am Hauptbahnhof geschludert hat. Weitere Ursachen sind höhere Materialkosten und Anforderungen in Sachen Sicherheit sowie geplante Verzögerungen: So wurden zur Fußball-WM 2006 die offenen Baustellen der vier Bahnhöfe geschlossen.
Deren Ausbau sorgt jetzt womöglich für weiteren, ungeplanten Verzug. Nachdem im Februar der Zuschlag für das betreffende Los D erfolgt war, zog ein unterlegener Bewerber vor die Vergabekammer des Bundeskartellamtes. Diese hat den Einspruch zwar nach Angaben des sächsischen Wirtschaftsministeriums jetzt zurückgewiesen; es bleiben aber 14 Tage Zeit für eine Beschwerde bei Gericht. Kommt es dazu, ist der anvisierte Eröffnungstermin im Dezember 2012 Makulatur. Der Zeitplan sei bereits jetzt »extrem eng«, sagt Lea Mock, die Sprecherin des Ministeriums; die Tunnelbauarbeiten der Deges und der Ausbau durch die Bahn AG müssten schon »verzahnt« werden, um im Plan zu bleiben: »Da darf jetzt nichts mehr schiefgehen.« Klappt das nicht, kann der Tunnel erst zum dann folgenden Fahrplanwechsel bei der Bahn am Jahresende 2013 in Betrieb gehen.
Während damit im Tunnel auf Jahre hin noch kein Zug rollt, gibt es oberhalb bald Bewegung: Am 30. Oktober wird der einst für den Bau verrückte Portikus des Bayrischen Bahnhofs an seine ursprüngliche Position zurückversetzt. Das Spektakel wird wieder viel Publikum ans Milliardengrab ziehen.
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