Doch noch in den Wahlkampf gebombt

In Sachen Außenpolitik herrscht bei den Parteien jenseits der LINKEN weitgehende Übereinstimmung

  • Gerry Woop
  • Lesedauer: 8 Min.
Zwei umstrittene Themen der deutschen Außenpolitik: der Lissabon-Vertrag (rechts: Protest vorm Bundesrat)
Zwei umstrittene Themen der deutschen Außenpolitik: der Lissabon-Vertrag (rechts: Protest vorm Bundesrat)

Außenpolitische Themen dienen nur selten als Thema im Wahlkampf. Schröders Nein zum Irak-Krieg vom Marktplatz in Goslar war eher die Ausnahme. Jahrzehnte zurück liegen die Auseinandersetzungen um die Ostpolitik und das Engagement von Willy Brandt.

Auch der Versuch der LINKEN, den Krieg in Afghanistan in den Fokus zu bringen, scheiterte zunächst am Desinteresse der Medien wie auch am bewussten Ausblenden der Probleme durch die anderen Parteien. Erst der Skandal um die Bombardierung von Tanklastern mit zahlreichen toten Zivilisten hat das Thema Afghanistan und damit ein zentrales Element der gegenwärtigen Außenpolitik in den Wahlkampf 2009 geschossen. Makaber, aber nun endlich wird – jedenfalls bis zur Wahl – ernsthafter in der Öffentlichkeit über die Strategie des Westens und das deutsche Engagement in Afghanistan, über einen eskalierenden Krieg gestritten.

Historisch ist das Desinteresse an außenpolitischen Auseinandersetzungen eng mit der hohen Kontinuität verbunden, die über wechselnde Bundesregierungen hinweg bestand. Die Anerkennung der Westbindung durch die SPD einerseits, die Akzeptanz der Ostverträge durch die CDU andererseits schufen eine Basis, die sich in Eckpfeilern der transatlantischen Bündnistreue und des NATO-Primats sowie in den europäischen Integrationsbemühungen konkretisierte. Die militärische Zurückhaltung als Konsequenz aus der deutschen Geschichte wurde erst unter Helmut Kohl aufgeweicht und mit dem Kosovo-Krieg der rotgrünen Regierung aufgehoben. Auch diese Neujustierung prägte keine Wahlkämpfe und war nie Gegenstand umfassender öffentliche Strategiedebatten.

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Die Große Koalition knüpfte 2005 unmittelbar daran an. Zu ihrer außenpolitischen Bilanz gehört die beschriebene Kontinuität der deutschen Außenpolitik mit eben jener militärisch geprägten Neujustierung. Die Personalie des Außenministers Frank-Walter Steinmeier, der sein außenpolitisches Konzept vom Kanzleramt ins Auswärtige Amt mitnahm, trug zusätzlich zur Beibehaltung der Grundlinie im Konkreten bei. Pragmatismus statt Visionen oder alternativen Entwürfen. Die beiden großen Parteien haben ihre Interessen zusammengebracht. Die Schrödersche Russland-Politik konnte Steinmeier weiter pragmatisch betreiben. Selbst der Georgien-Krieg blieb ohne größere Schäden für das bilaterale Verhältnis. Nur im Umgang mit dem Dalai Lama geriet die Einigkeit bei der China-Politik kurzzeitig aus den Fugen. Die transatlantischen Beziehungen gestaltete die konservative Seite der Regierung wiederum ohne stärkeres Irak-Engagement Bush-freundlicher. Mit Obama können nun alle besser leben. Allerdings scheint die Bundesregierung wichtigen positiven neuen Elementen der US-Außenpolitik, wie sie sich bei den Stichworten Iran, Lateinamerika oder Abrüstung stellen, nur hinterherzulaufen oder auch bloß zuzusehen.

Zur NATO-Reform entwickelte die Koalition keine Vorstellungen, die den sicherheitspolitischen Herausforderungen entsprechen wür-den. Die Abrüstungsfragen forcierte das Auswärtige Amt erst in der zweiten Legislaturhälfte etwas, ohne die Atomwaffenfrage selbst konsequent bei den Verbündeten voranzubringen. Beim Erweiterungsstreben einiger NATO-Mitglieder blieb Berlin mit Blick auf die möglichen Folgen pragmatisch und zurückhaltend, war nie wirklich deutlich und konsequent. In der EU-Politik bewegte Schwarz-Rot nichts, war auch gebremst durch die nationale Enge der CSU und hatte kein Interesse, die soziale Dimension wirksam in den Lissaboner Vertrag einzubringen.

Die Krisenpräventionskonzeption mit den zivilen Elementen der Außenpolitik wurde weiterentwickelt und umgesetzt. Während in der Entwicklungspolitik keine wirklichen Schwerpunkte oder großen Würfe zur Umsetzung der Millenniumsziele zu erkennen sind, brachte es Deutschland trotz noch geltenden, angeblich restriktiven Kriterien aus der rot-grünen Regierungszeit immer wieder auf Platz drei der größten Rüstungsexporteure der Welt.

Militärisch konzentrierte sich die Bundeswehr auf den Ausbau ihrer Fähigkeiten zum internationalen Agieren. Immer mehr Soldaten sind in Auslandseinsätzen gebunden, die Gefahren werden größer. Der Ersatzkrieg für Irak in Afghanistan, der sich acht Jahre nach 9/11 rechtlich wie politisch immer weniger legitimieren lässt, gerät wegen des Ausbleibens der Erfolge bei den avisierten Zielen und angesichts der nachlassenden Sicherheit immer mehr in Misskredit. Eine kritische Bilanz steht aus.

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Ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien zeigt, dass in grundlegenden Fragen nach wie vor breite Übereinstimmung bei den Parteien jenseits der LINKEN besteht. Im Kern werden – mit Ausnahme der Linkspartei – keine jähen Wendungen durch die Parteien gefordert. Der hohe Grad an Abstraktion und grundsätzlichen Ausführungen zu möglichst vielen Aspekten der internationalen Politik ohne deutliche Prioritätensetzung macht es schwer, aus den Programmtexten auf Schwerpunkte oder mögliche reale Politik zu schließen. Zur besseren Einordnung ist ein Blick auf die Praxis und die Erfahrungen nötig.

Die EU-Integration soll fortgesetzt werden, bei der LINKEN ohne Lissaboner Vertrag, bei den anderen Parteien auf dessen Basis. Akzentuiert wird die EU als Instrument zur politischen Regulierung der Globalisierungsprozesse angesehen. Eine Differenz besteht auch bei der Gestaltung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Während im Mainstream von einem umfassenden Sicherheitskonzept und integriertem Agieren einschließlich militärischer Mittel ausgegangen wird, lehnt die LINKE die militärische Komponente ab. In sozialen Fragen fordert die LINKE wie auch die SPD über soziale Mindeststandards hinausgehende Sicherungsmechanismen gegen Lohndumping und greift die Gewerkschaftsforderung nach einer Fortschrittsklausel auf.

In der Frage der EU-Erweiterung zeigt sich die Union besonders skeptisch, lehnt einen Türkei-Beitritt ab, den auch die FDP in weiterer Ferne sieht. Insgesamt zeichnet sich hier eine zurückhaltende Position ab, die auf die Stabilität und Aufnahmefähigkeit der EU verweist.

Alle Parteien thematisieren allgemein die Bedeutung der Menschenrechte, plädieren für eine Reform und Stärkung der UNO und anderer internationaler Organisationen und setzen auf engagierte Entwicklungspolitik. Prägnant ist die neoliberale Haltung der FDP, die faktisch Regulierungen als Handelsprotektionismus generell ablehnt. Grüne und LINKE räumen den Entwicklungsländern hier mehr Schutzmaßnahmen ein und wollen die armen Staaten zudem stärker entschulden.

Mit Ausnahme der LINKEN bekennen sich alle Parteien zur NATO. Die Grünen formulieren dabei die Notwendigkeit einer Reform und Überführung hin zu einem kooperativen Sicherheitssystem. Neben der grundsätzlichen Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch die LINKE sehen alle anderen Parteien diese als Mittel der Politik an. Vom einfachen, interessengeleiteten Einsatz im Bündnisrahmen über den Einsatz als letztes Mittel bis hin zur längstmöglichen Vermeidung von Einsätzen und anschließender strikter Völkerrechtsbindung reicht die Palette von CDU bis Grünen. Abrüstung ist als Thema genannt, bis hin zur Atomwaffenfreiheit auch in den Forderungen von FDP und Grünen, jedoch spielen die eigenen Ressourcen und die Bundeswehr in diesem Kontext keine Rolle.

Zum Afghanistan-Einsatz bekennen sich Union, SPD, FDP und Grüne. Verbal geht es zumeist um den zivilen Ausbau und um Strategieanpassungen. In letzter Konsequenz fordert außer der LINKEN niemand ein absehbares militärisches Abzugsszenario in Verbindung mit einem sofortigen Strategiewechsel weg von der dominant militärischen Vorgehensweise.

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Was lässt sich aus den Wahlprogrammen für die kommende Legislatur ableiten? Die reale Politik der Bundesregierung wird zunächst durch Koalitionen und zudem mehr von Konflikten zwischen Politikfeldern oder zwischen Zielen und sich verändernden Herausforderungen beeinflusst. Mit Blick auf die Koalitionen lassen sich Annahmen zu einigen Eckwerten der Außenpolitik formulieren.

Bei einer sehr wahrscheinlichen Neuauflage der Großen Koalition wird es keine Änderungen zum bisherigen Kurs geben. Einzig die Frage des Afghanistan-Engagements wird Gegenstand von Diskursen zur Anpassung der bisherigen Strategie. Ein fernes Abzugsdatum könnte Ergebnis dieser Debatten sein, allerdings sicher auf die US-Strategie angepasst. Auch Steinmeiers unter Wahlkampfdruck entwickelter Zehn-Punkte-Plan enthält neben richtigen Ansätzen etwa zur verstärkten Polizeiausbildung, zu einer neuen Konferenz mit allen wichtigen Akteuren und zu einer Räumungsoption für einzelne Standorte kein absehbares Enddatum für den Kriegseinsatz der Bundeswehr.

Im durchaus möglichen Falle einer konservativ-liberalen Mehrheit ist mit stärkeren Rechtsstaats- und Menschenrechtsakzenten zumindest in der außenpolitischen Rhetorik zu rechnen. Sicher werden auch einige internationale Abrüstungsfragen stärker in den Vordergrund gerückt. Zugleich sind sowohl CDU als auch FDP auf engere wirtschaftliche Interessen und deren Absicherung auch mit militärischen Mitteln orientiert. Im transatlantischen Verhältnis ist mit einer unkritischen Haltung zu rechnen. Die Beziehungen zu Russland dürften spannungsgeladener werden. In beiden Koalitionsvarianten ist ein an Bündnisse wie NATO und EU angepasstes Vorgehen zu erwarten.

Schwer zu prognostizieren ist die mögliche Außenpolitik einer – wohl nicht sehr wahrscheinlichen – Ampelkoalition, da Konlikte zwischen FDP und Grünen vorhersehbar sind. Die Rolle von Wertorientierungen, zivilem Krisenmanagement und ökologischen Fragen scheint schon bei Energiesicherheit, Auslandseinsatz-Begründungen, Rüstungsexporten oder Wirtschaftskontakten zu Ländern ohne westlichen Wertekodex umstritten.

Wie auch immer die Bundestagswahl ausgeht – die LINKE wird als Oppositionspartei im kommenden Jahr Debatten zum eigenen Parteiprogramm führen und dabei auch die in den programmatischen Eckpunkten genannten offenen und teilweise sehr strittigen Fragen zur internationalen Politik entscheiden müssen. Das schließt die Haltung zu militärischen Machtmitteln der UNO ein. Soll sie darüber verfügen? Für welche Fälle – Nothilfe, Völkermord, Konfliktnachsorge oder anderes – könnten diese Machtmittel eingesetzt werden? Und spielen dabei Deutschland oder die Bundeswehr eine Rolle?

Es wird um Grundsätze gehen, die im politischen Raum auch in Transformationsprozesse übersetzbar sind. Für Politikfähigkeit mit allen Optionen zur Umsetzung alternativer linker Positionen wird das wichtig sein. Ein jenseits absoluter Oppositionspolitik liegendes Gesamtkonzept internationaler Politik aus linker Sicht steht noch aus. Für Mitte-Links-Perspektiven bleibt das ein zentraler Aspekt.

Gerry Woop, Politikwissenschaftler, ist Absolvent des Studiengangs Master of Peace and Security Studies des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg. Er arbeitet für die Potsdamer Zeitschrift für internationale Politik »WeltTrends«.
Zum Weiterlesen: »Wahlprogramme der Parteien im Vergleich« von Horst Dietzel und Jochen Weichold in rls-Standpunkte 15/2009
(http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=10105) sowie Beiträge zum Thema »Außenpolitik in Schwarz-Rot« in »WeltTrends«, Heft 67.

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