Mittagsgebet in der Unterrichtspause
Berliner Verwaltungsgericht erlaubt muslimischen Jugendlichen, religiöse Pflichten auch an Schulen zu erfüllen
Darf ein gläubiger Muslim in seiner Schule in einer Unterrichtspause sein Gebet abhalten? Über diese Frage hatte gestern das Berliner Verwaltungsgericht eine Entscheidung zu treffen. Nach Anhörung des 16-jährigen Schülers Yunus M. und eines Islamexperten bestätigte das Gericht eine im März 2008 getroffene Eilentscheidung.
Ausgangspunkt des Rechtsstreits war eine Aktion am Berliner Diesterweg-Gymnasiums im November 2007, als mehrere Schüler auf den Gängen ihr islamisches Mittagsgebet abhielten. Das öffentliche Beten sorgte für Aufruhr an der Schule, die Direktorin verbot daraufhin mit dem Hinweis auf das staatliche Neutralitätsgebot ähnliche Aktionen. Dagegen klagte der damals 14-Jährige Yunus.
Der Vorgang hatte schon etwas Skurriles. Als das Berliner Verwaltungsgericht die vorläufige Entscheidung traf, dass das Gymnasium dem Schüler es bis zu einer abschließenden Gerichtsentscheidung ermöglichen muss, einmal täglich sein Mittagsgebet zu verrichten, da stand die Sommerzeit vor der Tür. Als die Schule dem Gymnasiasten per Gerichtsbeschluss eine Gebetsmöglichkeit zur Verfügung stellte, wurde der Beschluss faktisch überflüssig. Denn durch die Umstellung auf Sommerzeit fiel das Mittagsgebet in die Freizeit des Schülers.
In dem damaligen vorläufigen Urteil hatte sich das Gericht auf die Artikel 3 und 4 des Grundgesetzes berufen, wonach niemand wegen seines Glaubens benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Dieses Grundrecht auf Religionsfreiheit beziehe sich nicht nur auf die Art des Glaubens, sondern auch auf die Möglichkeiten, seinen Glauben praktizieren zu können. Da die fünf Gebete am Tag zu den fünf Säulen des Islam gehörten, müsse dem Schüler die Möglichkeit des Mittagsgebets in der Schule eingeräumt werden. Die Richter sahen in dem Fall keine Beeinträchtigung des Bildungsauftrages der Schule.
Berliner Bildungspolitiker von den LINKEN, Bündnis 90 und den Gewerkschaften hatten damals die Haltung von Bildungssenator Zöllner (SPD) kritisiert, der gegen diesen vorläufigen Gerichtsbeschluss keinen Widerspruch eingelegt hatte. Sie befürchteten, dass auch andere religiöse Gruppen Ansprüche auf Gebetsräume- und -zeiten geltend machen könnten. Der Vorsitzende der Berliner Schulleitervereinigung, Wolfgang Harnischfeger, unterstrich gestern noch einmal die Position seiner Kollegen, dass Berlin immer gut gefahren sei bei einer strikten Trennung von Staat und Kirche. Würde dieses Prinzip durch das Begehren eines einzelnen Schülers verletzt, würde ein Damm brechen.
Im Internet machten Rechtsextreme mobil und warnten in hysterischen Appellen, dass damit das Ende des Abendlandes eingeläutet worden sei und Berliner Schulen künftig zu Ausbildungsstätten islamistischer Terroristen umfunktioniert werden würden
Islamexperten sind sich nicht einig, ob streng gläubige Muslime zu festgelegten Zeiten ihr Gebet verrichten müssen, oder ob Allah nicht ein Auge zudrückt, wenn man ein wenig verhindert sein sollte, seiner Pflicht pünktlich nachzukommen. Der Islam gestatte es den Gläubigen, so der Gutachter, Gebete aufzuschieben oder sie zusammenzulegen. Deshalb sei das Gebet in der Schule nicht zwingend erforderlich. Durch Verschiebung der Gebetszeit werde der Grundsatz der Religionsfreiheit nicht angetastet. Doch dieser Standpunkt setzte sich bei den Verwaltungsrichtern nicht durch.
Yunus, die Hauptperson im Gerichtssaal, fühlte sich in seiner Klägerrolle sichtlich unwohl. Hilflos blickte er zu seinen Anwälten, bevor er auf die einfachsten Fragen eine Antwort gab. Der Sohn einer Türkin und eines Deutschen bezeichnete sich als streng gläubigen Muslim, der seine Gebetszeiten im Prinzip immer einhalte. Doch wie er es sagte, ließ den Verdacht aufkommen, dass hinter dem Jungen andere Kräfte stehen, die hier ein Exempel statuieren wollten.
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