Spekulationsgewinn mit Zucker
Knappheit und steigende Weltmarktpreise treffen die Armen in Südasien
»Ausverkauft«. Die Betreiber staatlicher Läden in Pakistan, in denen es etliche Produkte zu garantierten Preisen für die Ärmsten gibt, zucken derzeit bei der Frage nach Zucker oft bedauernd mit den Schultern. Am Tag werden nur 200 oder 300 Päckchen geliefert, die in kurzer Zeit weg sind. Das Doppelte oder Dreifache wäre locker abzusetzen. Vielerorts ist die Ausgabe schon rationiert. Dies garantiert mehr Gerechtigkeit, verhindert Hamsterkäufe und, dass ein Teil der preisregulierten Ware bald darauf auf dem Schwarzmarkt auftaucht.
Pakistans Regierung bemüht sich nach Kräften, der Zuckerkrise Herr zu werden. Von 28 Rupien (knapp 30 Cent) hat sich der durchschnittliche Kilopreis nahezu verdoppelt. Die Politik hat mit einer Halbierung der Mehrwertsteuer auf Zucker reagiert und will nun 75 000 Tonnen raffinierten und 300 000 Tonnen Rohzucker importieren, um der Preisspirale entgegenzuwirken, wie Finanzminister Shaukat Tarin bekanntgab. Aber selbst die Politik räumt ein, dass man früher hätte reagieren müssen. Doch Lobbygruppen mit besten Verbindungen in die Regierung und die Opposition übten Druck aus. Gemeint sind die Besitzer der etwa 80 Zuckermühlen, die an der Krise kräftig verdienen. Auch wenn die Gewinnspannen für Verarbeiter und Handel sinken, streichen sie einen satten Profit von 13 Rupien pro Kilo ein. Und halten bewusst Kapazitäten in den Lagerhäusern zurück.
In Pakistan wird aktuell ein Drittel weniger produziert als in normalen Zeiten. Beim großen Nachbarn Indien sind die Anbauflächen und damit die Zuckerproduktion sogar um etwa 40 Prozent gesunken. Der Grund: Bei der Aussaat hatte Getreide wie Reis und Weizen einen deutlich höheren Hektarertrag versprochen. Hinzu kommt, dass die Ausbeute in mehreren Landesteilen wegen zu geringer Regenfälle nicht üppig ist.
Lange Schlangen vor den Läden wie in Pakistan gibt es in Indien zwar noch nicht. Doch auch beim weltweit zweitgrößten Zuckerproduzenten steigen die Preise. Auch Süßigkeiten werden immer teurer. Dabei sind diese bei der Festsaison, die mit Diwali (Lichterfest der Hindus) Ende Oktober ihren Höhepunkt erreicht, derzeit besonders gefragt. Die Opfergaben für Ganesh, den angeblich naschsüchtigen Gott des Reichtums und Glücks, werden 2009 weniger üppig ausfallen.
Die Probleme beschränken sich nicht auf Südasien. Beim Zucker wächst der Fehlbedarf auf globaler Ebene. Die Internationale Zuckerorganisation bezifferte Mitte dieser Woche das Defizit aufgrund der wetterbedingt schlechten Zuckerrohrernten der Hauptproduzenten Brasilien und Indien auf 10,4 Millionen Tonnen. Rohrzucker kostet auf dem Weltmarkt doppelt so viel wie zu Jahresbeginn: 23,5 US-Cent je Pfund. Bei raffiniertem Zucker ist mit 611 Dollar pro Tonne sogar ein neuer Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen 1989 erreicht.
Wenn selbst Hauptproduzenten nicht einmal mehr den eigenen Bedarf decken können, sieht es schlimm aus. Spekulanten treiben derweil an der New Yorker Börse den Preis für die Zucker-Futures auf neue Jahreshöchststände. Demgegenüber bangen die Südasiaten um ihren Tee. Der wird hier mit Milch und stark gesüßt getrunken – allein in Indien für die 60 Millionen Ärmsten eine unverzichtbare Energiezufuhr zusätzlich zur kärglichen Mahlzeit.
Lexikon
Mit Futures (Terminkontrakten) wird die Lieferung einer festgelegten Menge von Finanzprodukten oder Waren zu einem späteren Zeitpunkt und einem festgelegten Preis vereinbart. Käufer und Verkäufer etwa von Zucker können sich so gegen überraschende Preisschwankungen absichern. Investoren, die gar nicht mit Zucker handeln wollen, spekulieren an Terminbörsen mit Futures. Die Kontrakte können dank ihrer Hebelwirkung deutlich höhere Gewinne als das Grundprodukt abwerfen, aber auch erheblich höhere Verluste. Spekulationen mit Futures beeinflussen zudem den Weltmarktpreis etwa von Zucker. ND
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.