Zweiklassengesellschaft im Jobcenter
In den ARGEN herrscht Verunsicherung – die von Karlsruhe geforderte Reform wurde verschleppt
Eine wilde Schlagzeile sorgte jüngst im Nordosten für Aufsehen: »Klassenkampf im Jobcenter«. Unter den Mitarbeitern des Güstrower als ARGE betriebenen »Jobcenters« gibt es demnach böses Blut: Der Teil der Mitarbeiter, der von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt werde, verdiene bei gleicher Arbeit deutlich mehr als die Mitarbeiter, die von den Kommunen in das Mischorgan geschickt worden sind. In der Lokalzeitung ließ sich ein Kommunal-Bediensteter anonym mit einem Satz zitieren, den auch ARGE-Kunden gerne verwenden: Er fühle sich »als Mensch zweiter Klasse«.
Tatsächlich hat die Dienstleitungsgewerkschaft ver.di nach einem langwierigen Verhandlungsprozess im April 2006 dafür gesorgt, dass für die Mitarbeiter der Bundesagentur ein an den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TVÖD) angelehntes Tarifwerk in Kraft gesetzt wurde. Auf der Seite der von den Gemeinden kommenden Miarbeiter sieht es komplizierter aus: Die gemeindlichen oder von Landkreisen abgestellten Mitarbeiter werden nicht nur schlechter qualifiziert, sondern schon regulär geringer entlohnt – und sehr viele haben befristete Verträge.
Das gilt, allerdings in geringerem Maße, auch für die Agenturbeschäftigten. Ver.di versucht schon seit langem, jegliche Befristungen im Bereich der ARGEN aufzuheben. Zuletzt unternahm die Gewerkschaft im Juni 2009 einen Vorstoß, kurz bevor die Politik zugunsten des Wahlkampfes eingestellt wurde: Notwendig sei »in einem ersten Schritt die dauerhafte Entfristung aller befristeten Arbeitsverhältnisse in den Jobcentern«, schrieb die Gewerkschaft an den amtierenden Bundesarbeitsminister Olaf Scholz. Sie kritisierte die von ihr beobachtete Praxis, junge, frisch aus der Ausbildung kommende Kräfte gleich an die soziale Front zu schicken. Zudem forderte ver.di, die Beschäftigung in den Jobcentern generell aufzustocken.
Scholz aber tat nichts mehr dergleichen – und auch der Städte- bzw. Landkreistag, denen Kopien des Schreibens an Scholz zugeleitet wurden, sind bisher nicht durch Aktionismus aufgefallen. Dabei war es der Städtetag gewesen, der bereits im Frühjahr 2009 via Presse Alarm geschlagen hatte wegen der »Unruhe und Unsicherheit in den Jobcentern«, wie es dessen mächtiger Präsident, Münchens OB Christian Ude (SPD), seinerzeit formulierte.
Offen ist auch die Frage nach der grundlegenden Reform der ARGEN, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2007 notwendig ist, aber weiterhin auf sich warten lässt. Spätestens Ende 2010 muss eine Lösung gefunden sein, denn zu diesem Zeitpunkt müssen die ARGEN nach dem Urteil der Verfassungsrichter aufgelöst werden. Ude hatte seinerzeit davor gewarnt, die Reform in die nächste Legislaturperiode zu schieben. Genau dies aber ist geschehen: Der im Februar 2009 von Scholz, dem Düsseldorfer Ministerpräsidenten Norbert Rüttgers (CDU) und dem Rheinland-Pfälzer Kurt Beck (SPD) erarbeitete Kompromissentwurf, die ARGEN unter prinzipieller Beibehaltung ihrer Struktur als »Zentren für Arbeit und Grundsicherung« (ZAG) weiterlaufen zu lassen und durch eine Grundgesetzänderung abzusichern, wurde Ende März von der CDU abgelehnt.
Die Unsicherheit, die aus diesem Versäumnis der Großen Koalition folgt, trage zur Verunsicherung der ARGE-Mitarbeiter verschärfend bei, räumt der Güstrower Personalratsvorsitzende Andreas Lange ein. Doch die Gefahr, dass verunsicherte ARGE-Leute möglichst schnell auf einen anderen Gemeindearbeitsplatz flüchten wollten, kann Lange nicht erkennen.
Anderswo sei die Lage doch auch nicht sicherer und besser, so seine traurige Begründung.
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