Kein Kampf der Kulturen
35. UNESCO-Generalkonferenz am Dienstag in Paris eröffnet
Auf der Generalkonferenz sind alle 193 Mitgliedsländer und die sechs assoziierten Mitglieder der Organisation durch Delegationen vertreten, die zumeist durch den jeweiligen Kultur- oder Bildungsminister geleitet werden. In diesem Jahr stehen unter anderem die Aufnahmeanträge Palästinas als Vollmitglied und der Faröer-Inseln als assoziiertes Mitglied auf der Tagesordnung. Und es wird eine bemerkenswerte Neuerung geben. Um den Delegationsleitern die Möglichkeit zu geben, sich über ihre sehr stark begrenzte Redezeit in der allgemeinen politischen Debatte hinaus zu äußern, wird es erstmals parallel zwei ganztägige »Ministerforen« geben.
Die erste dieser Veranstaltungen, die den etwas starren Rahmen der Generalkonferenz überwinden und einen möglichst lebhaften Gedankenaustausch ermöglichen sollen, findet am Donnerstag statt. So soll darüber diskutiert werden, wie die UNESCO zur Überwindung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise vor allem in den Entwicklungsländern beitragen kann und auf welche Themen in Bildung, Wissenschaft, Kultur, Kommunikation und Information man sich dabei konzentrieren sollte. Zudem geht es darum, wie die UNESCO sich selbst auf die Anforderungen der nächsten Jahrzehnte vorbereiten und im Rahmen der Reform des gesamten UN-Systems effizienter werden kann. Diese Debatten, die durch namhafte internationale Persönlichkeiten moderiert werden, sollen zu konkreten Ergebnissen und Empfehlungen führen, die dann in die offizielle Arbeit der Generalkonferenz einfließen.
Diese Neuerung trägt der wiederholt geäußerten Kritik Rechnung, dass die UNESCO mit den Jahren schwerfällig, bürokratisch und ineffizient geworden sei. Tatsächlich gehen hier wie in anderen Weltorganisationen noch zu viel Zeit und Energie für politisch-diplomatische Ränkespiele verloren. Die fehlen dann für die eigentlichen Aufgaben, zu denen vor allem gehört, durch Zugang zur Bildung für alle, durch internationalen wissenschaftlichen Austausch und durch den Schutz und die Verbreitung der kulturellen Reichtümer zum friedlichen Zusammenleben der Länder und Völker beizutragen.
Da für die entsprechenden Programme der UNESCO immer mehr Geld benötigt wird, nimmt auch in diesem Jahr wieder die Debatte über die Finanzen einen breiten Raum ein. Mit dem finanziellen Hebel versuchen die Hauptgeldgeber, zu denen die USA, aber auch Deutschland gehören, ihre Vorstellungen von den künftigen Schwerpunkten der Arbeit, den Programmen und den zu besetzenden Posten durchzusetzen. Angesichts des gewachsenen Widerstandes gegen solche Diktate geht man heute allerdings vorsichtiger und diskreter vor als noch vor Jahrzehnten, als sich die USA, denen die Arbeit der UNESCO für eine internationale Informationsordnung nicht »liberal« genug war, 1984 »zurückgezogen« haben und erst 2002 als Mitglied und Geldgeber zurückgekehrt sind.
Während die Entwicklungsländer von der UNESCO vor allem konkrete materielle und personelle Hilfe für ihre Schulen und Universitäten und Zugang zu den Erkenntnissen der Wissenschaft in den entwickelten Industrieländern erhoffen, spielt dort die Weltorganisation eine wachsende Rolle beim Schutz und der Anerkennung ihrer Nationaldenkmäler und Kulturschätze.
Doch das Herangehen ist hier oft ganz unerschiedlich. So wird in Bordeaux, dessen historisches Stadtzentrum von der UNESCO schon vor Jahren zum »Weltkulturerbe« erklärt wurde, gegenwärtig der Bau einer neuen Brücke über die Garonne geplant. Dabei kooperieren die Ingenieure und Denkmalpfleger eng mit den Experten der UNESCO und arbeiten deren Hinweise und Wünsche umgehend in die Pläne ein. »Auf keinen Fall wollen wir durch die Brücke, auch wenn sie für die Stadtentwicklung wichtig ist, unseren UNESCO-Titel aufs Spiel setzten, der enorm viel zum internationalen Ruf und damit konkret zum Tourismus beiträgt«, erklärt Ex-Premier und Bürgermeister Alain Juppé. Das Beispiel des Verhaltens von Dresden stehe ihm dabei immer abschreckend vor Augen.
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