Das Mauerspektakel von Mödlareuth

Im einst geteilten Doppeldorf ist man inzwischen von den Grenztouristen vor allem genervt

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Der kleine Ort Mödlareuth im thüringisch-bayerischen Grenzland leidet noch heute an der einstigen Abschottung. Oder genauer: daran, dass diese heute fehlt und die Einwohner vor allem im Ostteil so leicht zum Freiwild für Reporter und Mauertouristen aus Nah und Fern wurden. 2009 ist es wieder besonders schlimm.
Theo und Niklas sind erfreut über den Touristentrubel um die alten Grenzanlagen – die erwachsenen Mödlareuther sind's nicht.
Theo und Niklas sind erfreut über den Touristentrubel um die alten Grenzanlagen – die erwachsenen Mödlareuther sind's nicht.

Theo und Niklas finden alles toll. Auf ihren Rädern haben die Zehnjährigen den Hügel vor einem Grenzwachturm geentert und schauen dem Trubel zu. Wie stets am 3. Oktober rollen Tausende von Autos gen Mödlareuth. Denn traditionell feiert da die bayerische CSU mit ihren Unionsfreunden aus Thüringen und Sachsen ihr Deutschlandfest. Nun-mehr zwanzigste schon.

Bald sind fast alle Gassen und Hofeinfahrten zugeparkt und Heerscharen walzen durch das 52-Seelen-Dorf. An jedem historischen Schild, jedem Grenzpfahl fotografiert man sich. Kinder erklimmen einen russischen T 34-Panzer, ihre Väter fachsimpeln derweil über Selbstschussgeräte, Hundelaufanlagen und Autosperrgräben.

Doch Theo und Niklaus finden es toll. Gern weisen sie Fremden den Weg, und natürlich können sie genau sagen, bis wohin Thüringen geht und wo der bayerische Ortsteil beginnt.

Auch Tanja, Theos ältere Schwester, gewinnt dem Trubel Gutes ab. Mit ihren Freundinnen Lisa und Michelle hat sie einen Tisch aufgestellt. Darauf bieten sie nun allerlei Trödel feil, den sie als Backfische nicht mehr brauchen. Kinderbücher, Puppen, Quartette … »Kaufen Sie – alles billig und wirklich echt historisch, wie alles hier«, spöttelt eine, ohne sich womöglich des Doppelsinns ihrer Worte bewusst zu sein.

Von Eltern wie Großeltern fehlt dagegen jede Spur. Wen man auch fragt – unter den Erwachsenen, die die Dorfgassen bevölkern, findet sich kein Mödlareuther. Sie scheinen geflohen vor dem Trubel.

Vielleicht seien einige drüben im Festzelt, sagt ein Mann. Der Weg führt vorbei am Deutsch-deutschen Grenzmuseum. Zwei Frauen im Kassenhäuschen verkaufen im Akkord Tickets. Ob sie aus Mödlareuth seien? Eine nickt. »Sogar gebürtig – im bayerischen Teil«, erzählt Renate Greim. 40 Jahre war sie, als die Mauer fiel. Doch so tragisch habe sie die Grenze nie empfunden, meint sie eher locker: »Es war eben so, sie gehörte dazu.«

Als dann ein Bagger die ersten Betonelemente herausbrach, sei sie vor allem schauen gegangen, wie ihr Haus, ihre Dorfhälfte »von drüben« her ausschaut. Das wäre damals das Spannendste für sie gewesen. Und heute? Sie zuckt die Schultern. Nun habe sie zumindest einen Minijob im Museum: »Als einzige aus Mödlareuth.« Alle anderen Mitarbeiter wohnten außerhalb. Auch Ingolf Hermann kommt täglich aus Wurzbach herüber, an seinen neuen und gewissermaßen alten Arbeitsplatz. Denn er diente einst als Hauptmann bei den DDR-Grenzern. Nun ist er Besucherführer mit Intimkenntnis an die letzten 100 von einst 700 Metern Mauer, die sich seit 1966 durch das Dorf schlängelte. Manchmal holt er dann aus seiner Ledertasche eine entschärfte Splittermine und erklärt deren fiese Wirkungsweise. Und er hat auch die Nerven, sich immer mal wieder auf ideologische Grabenkämpfe einzulassen. Etwa wenn ihn jemand pauschal für alle Mauertoten beschimpft.

Doch die Rundgänge, so Hermann, böten ihm auch die Chance, das Zerrbild einer schießwütigen Soldateska zu relativieren. Oder nebenher von US-Soldaten zu erzählen, die damals bei den Herbstmanövern der NATO mit geschwärzten Gesichtern in Kampfformation den nahen Hügel hinterm bayerischen Mödlareuth herabstürmten.

Im Festzelt endlich echte Mödlareuther, Franken wie Thüringer. Gemischt, gesellig, gut gelaunt sitzen sie bei Bier und Bratwurst und warten auf den Stargast: Bundesminister zu Guttenberg. Auch Presse streuselt durch die Reihen, TV-Teams halten kräftig drauf aufs Getümmel.

Und plötzlich erkennt man genau, wer woher stammt: Wessis grinsen gelassen ob der Mediengier, Ossis treibt es die Wutröte ins Gesicht. »Sofort ist die gute Laune futsch«, flucht ein Mann und dreht sich ab. Eine Frau beschimpft gleich pauschal alle Journalisten mit Ausdrücken, die nicht druckreif sind. Seit Jahren schon, ätzt sie erregt, habe man jene Wortverdreher gefressen.

Viele Thüringer Mödlareuther, die einst zwar isoliert aber ruhig lebten, litten halt bis heute an dem Touristen- und Medienrummel, der plötzlich über sie kam, sucht Heiko Mergner um Verständnis. Wie Zootiere kämen sie sich oft vor, gerade dieses Jahr wieder. Kaum ein Tag, da nicht ein TV-Trupp durchs Dorf pilgere. Stets auf der Suche nach Opfern und markigen Zitaten, in die sich immer noch die üblichen Ost-West-Klischees hineininterpretieren ließen. Eine Berliner Journalistenakademie inszenierte vor Ort sogar ein Videospektakel: mit Tänzerin auf der Mauerkrone und Showevent à la »Mödlareuth sucht den Superstar«.

Heiko Mergner lebt im Thüringer Teil, wo er einen Agrarbetrieb führt und seine drei Kinder auch zur Schule gehen. Er wuchs aber in der bayerischen Hälfte auf. So ist der 37-Jährige ein typischer Wossi. Wie kaum ein zweiter steht er für das Heute. Denn mental gebe es zwischen den 33 Thüringer und 19 fränkischen Mödlareuthern längst kein Hüben und Drüben mehr, sagt er. Man sehe sich als ein Dorf, auch wenn beide Hälften wie seit 400 Jahren administrativ zerrissen sind – mit zwei Postleitzahlen, Autokennzeichen, Vorwahlnummern, Wahlkreisen, Strom- und Wasserversorgern.

Mergner vertritt auch als Einziger das östliche Mödlareuth im Stadtrat von Gefell, wozu man gehört. Die andere Hälfte, wo sein Vater auch eine Landwirtschaft führt, ist dem bayerischen Töpen angegliedert. Aber gemeinsam, sagt er, wollen sie sich nun stark machen, dass das Doppeldorf endlich mehr Mitsprache im Museumsverein erhält. »Denn hier bestimmen bisher durchweg Auswärtige«, ärgert er sich. Und als eine der ersten Maßnahmen würde er das wilde Parken in der Ortslage verbieten.


Riesenkerze aus Bronze

Plauen (dpa/ND). Bundespräsident Horst Köhler hat den Mut der Plauener Demonstranten vom Herbst 1989 als wichtiges Signal für die friedliche Revolution vor 20 Jahren gewürdigt. »Plauen hatte eine entscheidende Bedeutung«, sagte Köhler am Mittwoch bei einem Besuch der sächsischen Stadt. Die Bürger hätten damals Mut gegen die Angst aufgebracht, so das Staatsoberhaupt.

In Plauen waren am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, zwischen 15 000 und 20 000 Menschen gegen die SED auf die Straße gegangen. Die Staatsmacht war überrascht, die Demonstration verlief – anders als am selben Tag etwa in Berlin – weitgehend friedlich. Am Mittwochabend sollte in Plauen der Grundstein für ein Denkmal zur Erinnerung an die Revolution vor 20 Jahren gelegt werden. Eine mehr als zwei Meter hohe Kerze in einem Bronzemantel soll an die Demonstranten erinnern, die 1989 mit einer Kerze in der Hand protestierten.

Köhler hatte am Vormittag mit rund 120 Schülern und Zeitzeugen über die Ereignisse des Wendeherbstes diskutiert. Am Nachmittag wollte er sich bei einem Gitarrenhersteller in der Musikinstrumentenstadt Markneukirchen umsehen und den in ein Naturschutzgebiet verwandelten ehemaligen Grenzstreifen besichtigen.

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