Ein Besucher mit Selbstbewusstsein
Chinas Vizepräsident kommt nach Deutschland
Unmittelbarer Besuchsanlass des zweiten Mannes in Chinas Machthierarchie ist die Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, auf der das Reich der Mitte der diesjährige Ehrengast ist. Schon vorher werden aber die politischen Unterredungen genutzt, um den deutsch-chinesischen Beziehungen weitere kräftige Wachstumsimpulse zu verleihen. Nach den Wahlen zum Bundestag und zum Europaparlament im Juni steht jetzt zur Debatte, was fortgeführt, was verändert oder neu in den Beziehungskatalog eingebracht werden muss.
Für Peking hat die weitere Ausgestaltung der Wirtschaftskooperation absoluten Vorrang. Heutzutage erst recht, weil die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise beiden exportorientierten Ländern riesige Einbußen beschert hat, die in den kommenden Jahren verkraftet werden müssen. Unverändert gilt, dass China für Deutschland der bedeutendste Wirtschaftspartner in Asien ist (Handel 2008: 93,473 Milliarden Euro; davon Import: 59,377; Export: 34,096) und umgekehrt Deutschland der wichtigste Chinas in Europa. Beide Länder haben seit Ende 2008 jeweils Konjunktursonderprogramme aufgelegt, die die Binnennachfrage stabilisieren und die größten Ausfälle bei Export und Import abfedern sollten. Maßgeblich haben dazu die »Feuerwehreinsätze« des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao Ende Januar und die über Wen organisierten hochrangigen chinesischen Delegationen beigetragen, die dann im Frühjahr Deutschland besuchten und Geschäftsabschlüsse im Euro-Milliardenbereich beförderten. Vor allem der deutsche Maschinenbau ist – trotz aktueller kräftiger Einbußen – ebenso wie die Autohersteller VW, Audi, BMW und Mercedes, die Chemie- und Pharmakonzerne BASF, Bayer-Schering – stabil in China verankert, und Siemens hat in etlichen Bereichen eine Produktpräsenz und Fertigungstiefe vor Ort erreicht wie kein anderes ausländisches Unternehmen.
Außenpolitisch hingegen präsentiert sich das bilaterale Miteinander durchwachsen. So haben die Sachzwänge zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise zweifellos zur Versachlichung der Beziehungen beigetragen. Konfrontationsstrategen aus CDU/CSU und FDP haben aber zeitweise versucht, über das Reizthema Separatismus des Dalai Lama, die Unruhen in Xinjiang im Sommer oder Menschenrechtsfragen Druck auf das »kommunistische China« auszuüben.
Das weist Peking als Einmischung in innere Angelegenheiten scharf zurück, weil man selbst wissen müsse, wie welche Fragen zu lösen seien, ohne die »gesellschaftliche Stabilität seiner 1,34- Milliarden-Bevölkerung« zu gefährden. Darauf verwiesen wird auch, dass China mit seiner Reform- und Öffnungspolitik insbesondere seit Beginn der 90er Jahre innen- wie außenpolitisch die Grundlinie Frieden und Entwicklung international und praktisch wirksam umsetzt. Chinas Führung spricht heute noch nachdrücklicher als vor einigen Monaten davon, dass die Welt ein »globales Dorf« sei, dessen allseitige politische und wirtschaftliche Vernetzung rasch zunimmt.
Absehbar ist, dass die bilateralen Beziehungen im Ergebnis des Besuchs ausgeweitet und vertieft werden – bei schärferer Konkurrenz durch andere EU-Staaten. Differenzierter noch als vor der Krise wird Peking pragmatisch ausloten, inwieweit das Verhältnis zu Deutschland und zur EU seinen geopolitischen Interessen entspricht und es in diesen größeren Kontext einordnen. Nicht mehr und nicht weniger.
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