»Steinmeier sitzt am falschen Platz«

Überlegungen eines aus der SPD ausgeschlossenen Befürworters linker Bündnisse über seine Ex-Partei

  • Lesedauer: 5 Min.
Der 72-Jährige Detlev v.Larcher war SPD-Bundestagsabgeordneter und als Parteilinker eng an der Seite von Andrea Nahles (Foto: dpa). 2008 wurde er aus der SPD ausgeschlossen, weil er sich vor der Hessen-Wahl für ein linkes Bündnis ausgesprochen hatte.

ND: In der SPD gibt es eine vorsichtige und zögerliche Kursänderung hin zur LINKEN. Betrachten Sie das als späte Genugtuung?
v.Larcher: Es war ja absehbar, dass das passieren würde. Ich habe das schon im Hessischen Landtagswahlkampf in einem Leserbrief in der »Frankfurter Allgemeinen« gesagt, dass Links – also Rot-Rot-Grün – eine Alternative ist, um Roland Koch abzulösen und es anders nicht passieren würde. Dafür bin ich aus der Partei ausgeschlossen worden. Aber es war eigentlich absehbar, dass sich diese Überzeugung irgendwann auch in der SPD durchsetzen würde – spätestens dann, wenn es sonst keine Machtperspektive für sie gibt.

Werden Sie nun also wieder SPD-Mitglied?
Nein, meine politischen Aktivitäten finden jetzt ausschließlich bei Attac statt, ich werde nicht mehr Mitglied einer Partei.

Was waren letztlich die Gründe für Sie, sich – so öffentlich per Leserbrief und für Sie nicht ganz ungefährlich – für eine Kooperation mit der LINKEN auszusprechen?
Es gab zwei Gründe. Der eine war, dass alle Umfragen zeigten, dass Roland Koch am Ruder bleiben würde, wenn es nicht zu Rot-Rot-Grün kommen würde. Und der zweite, mehr politische: Ich bin der Überzeugung, dass die SPD nur dann wieder zu sozialdemokratischer Politik zurückfindet, wenn sie von links Druck bekommt. Und deswegen war es wichtig, dass die LINKE auch in Landtage im Westen einzieht und so stark wird, dass ihre Politik wirklich Einfluss hat auf das, was die SPD macht. Wir sehen ja, das funktioniert.

Hat die SPD jetzt ihre schlimmste Zeit mit diesem wirklich desaströsen Wahlergebnis, hinter sich?
Es wird jetzt heiße Debatten geben – auch über die Agenda 2010 und da vor allem über Hartz IV sowie über die Rente mit 67. Ob die SPD die schlimmste Zeit hinter sich hat, hängt davon ab, ob sie aus dieser Niederlage die richtigen Konsequenzen zieht – und wer sich durchsetzt. Herr Steinmeier warnt ja vor einer Diskussion über die Agenda-Politik, Herr Gabriel sagt, er wolle mit der Basis genau über diese Politik diskutieren. Und das ist bitter nötig. Das desaströse Wahlergebnis hängt ja mit der rot-grünen Politik unter Schröder zusammen. Und genau das hat dazu geführt, dass zwei Millionen Wählerinnen und Wähler ins Lager der Nichtwähler gewandert sind und viele andere andere Parteien gewählt haben.

Sie haben sich erst 2007 offen gegen die SPD-Politik gestellt, obwohl Sie unter Rot-Grün Bundestagsabgeordneter waren. Waren die Jahre zuvor erfreulicher?
Die waren nicht erfreulich, aber es gab immer wieder heftige Auseinandersetzungen in der SPD-Fraktion. Ich war ja Sprecher der SPD-Linken und wir haben nicht einfach nur gekuscht. Allerdings waren wir meist nicht sehr viele – die große Mehrheit der Fraktion hat meistens im Schröderschen Sinne funktioniert. Praktisch bei jedem strittigen Beschluss wurde das so hingedreht, dass ein Nein der Fraktion zur Demontage der Regierung führen und den Bundeskanzler stürzen würde. Mit dieser Basta-Politik hat Schröder nicht nur die Fraktion, sondern auch die Partei praktisch lahmgelegt. Das war auf den Regionalkonferenzen zur Agenda 2010 das Prinzip. Und wer wollte schon den eigenen Bundeskanzler stürzen?

Wie bewerten Sie das SPD-Führungsgerangel nach der Bundestagswahl, das Hermann Scheer als Ämterpiraterie bezeichnet hat?
Völlig falsch war, dass sich Frank-Walter Steinmeier schon am Wahlabend als Fraktionschef selbst ausgerufen hat. Natürlich ist es so, dass Präsidium und Vorstand dem Parteitag einen Vorschlag machen – insofern entsprach der Ablauf nachher den SPD-Gepflogenheiten. Der sich selbst ernannte Herr Steinmeier sitzt am falschen Platz. Er ist schließlich der Macher von Schröders Agenda-Politik. Er will bis heute nicht über die Vergangenheit diskutieren – wie soll man mit ihm also dann eine andere Richtung einschlagen?

Etwas anderes ist es mit Andrea Nahles. Und Herrn Gabriel habe ich hier in Niedersachsen nur als Blatt im Wind kennengelernt. Der richtet sich nach dem Mainstream und kann alles vertreten – auch das Gegenteil von dem, was er gestern vertrat.

Wie lange wird es brauchen, eine Zusammenarbeit zwischen LINKER und SPD hinzubekommen?
Ich habe die Hoffnung, dass das jetzt schon im Saarland passiert und möglicherweise auch in Brandenburg. Geht das in ein paar Ländern, ist die Frage in vier Jahren in der SPD nicht mehr umstritten, dass man praktisch mit der LINKEN koalieren kann.

Warum gibt es eigentlich diese massiven Vorbehalte, die wir ja jetzt auch wieder in Thüringen sehen. Ist das nur eine machtperspektivische Frage – oder eine, die die Seele der SPD berührt?
Zum einen muss man bedenken, dass die LINKE und ihre zunehmende Stärke nur möglich geworden sind, weil die SPD auf ihrem Hauptfeld der sozialen Gerechtigkeit versagt hat. Die SPD hat praktisch die Möglichkeit geschaffen, dass da links neben ihr etwas entsteht, was sie nie zulassen wollte. Und aus der Vergangenheit kommt der zweite Grund für die Vorbehalte. Viele SPD-Mitglieder hatten sehr große Schwierigkeiten damit, dass die PDS die Nachfolge der SED angetreten und es lange gedauert hat, bis sie ihre Vergangenheit aufzuarbeiten begann.

Und dann gibt es noch das Stichwort Lafontaine ...
Ja, natürlich. Wobei ich es abwegig finde, wie manche aus der SPD über Lafontaine herfallen. Dass man sich über jemanden ärgert, kann doch nicht die Politik bestimmen.

Bei Ihnen war das nicht so?
Ich habe mich auch sehr über die Art und Weise, wie Oskar Lafontaine sich verabschiedet hat, geärgert. Ich habe ihm das auch gesagt. Andererseits war sein Rückzug konsequent. Ich habe immer noch freundschaftlichen Kontakt zu ihm. Politische Gespräche mit ihm sind ein Gewinn.

Fragen: Gabriele Oertel

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