Gutes tun
Miss Obdachlos
D ie ungeliebte Lehrerin, die wir bösartigen Schüler damals zur »Miss-Bildung« kürten, hat sich über die zweifelhafte Ehrung kein bisschen gefreut. Sie war unserer Meinung nach zwar blöd, die Fähigkeit, Ironie zu erkennen, war ihr aber offenbar gegeben.
Was die gemeinnützige Organisation Artefix dazu bewogen hat, in Belgien den Titel »Miss Obdachlos« auszuloben, Bösartigkeit oder Ironie, wir wissen es nicht. Nach eigenem Bekunden soll die Aktion Aufmerksamkeit für die Probleme wohnungsloser Menschen schaffen und ihnen helfen, den Weg zurück in ein normales Leben zu finden. Das leuchtet ein. Es ist ja bekannt, dass das dringlichste Problem Obdachloser darin besteht, schicke Outfits zur Schau tragen zu müssen. Und den Laufsteg als Weg in ein normales Leben zu bezeichnen, ist – nicht nur für Wohnungslose – überaus zeitgemäß.
Die 58-jährige Gewinnerin wurde mit Krone, Ohrringen und Schärpe verziert und erhielt als Preis den Schlüssel für eine Unterkunft, die sie nun für ein ganzes Jahr beziehen darf. Da wird sie sich aber freuen. Vielleicht schmeißt sie eine Party und lädt ihre unterlegenen Mitbewerberinnen ein: Kommt schon, verlieren seid ihr doch gewohnt! Und bestimmt kommen auch die paar tausend anderen Obdachlosen aus der Umgebung gern mal vorbei, um zu schauen, wie es sich so lebt mit einem Dach überm Kopf. Das wär doch auch was fürs Fernsehen, wegen der Aufmerksamkeit.
Denkbar gar, dass die gemeinnützige Organisation Artefix als nächstes mit einem TV-Format à la »Big Brother« auf Sendung geht: Obdachlose werden in einen Container gesperrt – mit Dach! Vor laufenden Kameras müssten sie den Zuschauern beweisen, dass sie gar nicht asozial sind. Ach, man kann so viel Gutes tun. Martin Hatzius
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