• Politik
  • In Brandenburg wird über rot-rote Koalition verhandelt

Der weite Weg der Sozialdemokraten

Platzeck verteidigt in Brief an SPD-Basis Linkskoalition / CDU schlechte Verliererin

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 5 Min.
Einen Tag nach der umwälzenden Entscheidung der Brandenburger SPD, Koalitionsverhandlungen mit der Linkspartei aufzunehmen, trafen sich gestern die Fraktionen im Landtag.

Bevor die Fraktionssitzung der Linkspartei begann, gab es Blumen und Sekt für die erfolgreiche Verhandlungsgruppe, deren Vertreter mit erschöpften Gesichtern dasaßen. Die siebenköpfige Gruppe soll in gleicher Zusammensetzung die heute beginnenden Koalitionsverhandlungen führen.

Die Fraktion sprach der Verhandlungsgruppe einstimmig ihr Vertrauen aus und gab ihr auf den Weg, ein Maximum an politischen Forderungen der Sozialisten durchzusetzen. Die Fraktionsvorsitzende Kerstin Kaiser betonte danach, dass eine eventuelle Regierungsbeteiligung der LINKEN auch das Verhältnis zwischen Parlament und Landesregierung verändern werde. Ausdrücklich sprach sie von einer Stärkung der Abgeordneten. Was die LINKEN in der Zeit der SPD-CDU-Regierung erlebten – dass Anträge der Opposition ohne Debatte einfach vom Tisch gefegt werden –, das »ist mit uns völlig undenkbar«.

Auf die Frage, ob künftig Ausschusssitzungen in Brandenburg öffentlich sein werden, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Christian Görke: »Die Verweigerung der Transparenz war in der Vergangenheit immer auf die CDU zurückzuführen.« Es werde zu beraten sein, ob in diesem Punkt künftig nach Berliner Vorbild zu verfahren ist. Im Berliner Abgeordnetenhaus sind die Ausschusssitzungen grundsätzlich öffentlich. Für den Abend war der Parteirat einberufen, um über die Fortsetzung der Verhandlungen mit der SPD zu reden.

Die in die Oppositionsrolle gedrängte CDU erwies sich gestern als schlechte Verliererin. Fraktionschefin Saskia Funck sprach davon, dass nun »mehr Willkür« in der Landespolitik ausbrechen werde und orakelte über einen »Angriff auf die kleinen und mittleren Unternehmen«. Funck will zugunsten von Kulturministerin Johanna Wanka auf den Fraktionsvorsitz verzichten und wird dafür mit einer noch zu schaffenden dritten Vertreterstelle abgefunden. Bezogen auf die kaum zur Ruhe gekommenen Machkämpfe in der CDU äußerte Funck den entlarvenden Satz: »Wir sind auf dem Weg zu einer normalen Partei.«

Offenbar hat die Erkenntnis, dass auf die CDU nicht genügend Verlass ist, die Entscheidung der SPD stark beeinflusst. Ministerpräsident Matthias Platzeck sprach von einem »explosiven Konfliktpotenzial in der brandenburgischen CDU«. Politisch gesehen hat die Führung der Sozialdemokraten in Brandenburg innerhalb weniger Tage einen weiten Weg zurückgelegt – von einem im Bundesmaßstab eher rechts verorteten Landesverband zu einer linken Vorreitergruppierung. Diese Wende ist aber zur Zeit keineswegs von allen Mitgliedern nachvollzogen worden. Bedenken innerhalb der SPD kommen auch dadurch zum Ausdruck, dass es am Montagabend im Landesvorstand neun Stimmen für Rot-Rot gab, aber immerhin auch fünf Enthaltungen.

Angesichts dessen wandte sich Platzeck, der auch SPD-Landesvorsitzender ist, gestern mit einem Brief an die Mitglieder. Darin unterstrich er, dass die SPD die »Brandenburgpartei schlechthin« sei und die SPD tief in der gesellschaftlichen Mitte des Landes verankert bleibe. Über die LINKE schrieb er: »Vom undemokratischen und diktatorischen Erbe der SED haben sich fast alle wesentlichen Vertreter der Brandenburger Linkspartei seither aber distanziert. Etliche von ihnen haben wirkliche Lernprozesse durchlaufen.« Die fortgesetzte Ausgrenzung einer »von beträchtlichen Wählergruppen unterstützten demokratischen Partei« erscheine »auch unter demokratiepolitischer Perspektive nicht ratsam«.

Indessen schlug Kerstin Kaiser vor, Gerlinde Stobrawa erneut für das Amt der Vizepräsidentin des Landtags ins Rennen zu schicken. Zuvor hatte die SPD den aktuellen Parlamentspräsidenten Gunther Fritsch wieder nominiert. Gerlinde Strobrawa ist die einzige verbliebene Abgeordnete der Sozialisten, die seit 1990 ununterbrochen dem Landtag angehört. Gestern verwies Stobrawa darauf, dass sie »auch vor 1990 schon ein Leben hatte«. Sie bewirbt sich um den Posten der Vizepräsidentin in einer aufgeheizten Stasi-Debatte, die im Zuge des 20. Jahrestags der Wende eine geradezu hysterische Stufe erreicht hat. Stobrawa hatte als Vorsitzende der Pionierorganisation des Bezirks Frankfurt (Oder) gearbeitet und in dieser Funktion »dienstlich Kontakt auch zur Staatssicherheit«, wie sie sagte. Eine Ehrenkommission, die Anfang der 90er Jahre über die Abgeordneten des Landtags befand, hatte ihr in Ansehung der Aktenlage empfohlen, ihr Mandat zu behalten. Die Grünen haben angekündigt, die Stasi-Überprüfung aller Abgeordneten zu beantragen. Kaiser erklärte dazu, es sei zu prüfen, was daran 20 Jahre nach der Wende noch sinnvoll sei.


Zitate

»Wir haben zu dieser Frage überhaupt noch keine Debatte geführt.«
Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser zu Spekulationen über die Besetzung der Ministerposten

»Ich begrüße die Entscheidung der Brandenburger SPD, mit den LINKEN Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Nach den Entscheidungen des SPD-Landesvorstands in Thüringen und der Grünen im Saarland ist das ein ermutigendes Zeichen dafür, dass zumindest der SPD der Mut zu einem Politikwechsel noch nicht gänzlich abhanden gekommen ist. Damit sind die Aussichten auf eine gerechtere Bildungs-, eine ökologischere Energie- und eine sozialere Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in Brandenburg deutlich gestiegen.

Mit großem Respekt und Hochachtung sehe ich auch die Entscheidung von Kerstin Kaiser, ein Ministerinnenamt nicht anstreben zu wollen und damit einer möglichen Blockade bei der SPD entgegen zu wirken. Das gilt umso mehr, als für mich die Bedenken gegen Kerstin Kaiser angesichts ihrer aktiven Auseinandersetzung mit ihrer Biografie einer rationalen Grundlage entbehren.«
Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Berliner Linkspartei

»Im zwanzigsten Jahr der friedlichen Revolution wird eine Partei hoffähig gemacht, die Staatsbankrott, Unrecht und Diktatur zu verantworten hat.«
Stephan Hilsberg, SPD-Bundestagsabgeordneter

»Zu hoffen bleibt, dass nach den schwarz-roten Jahren der Stagnation endlich wieder Bewegung in die Brandenburger Politik kommt ... Im Landtag wird es keine Koalition in der Opposition geben. Die Politikansätze von Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP sind so verschieden, dass es inhaltlich nur zur punktuellen Zusammenarbeit kommen kann.«
Axel Vogel, Grünen-Landeschef

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.