Zwei-Klassen-Impfungen
Kanzlerin Merkel will sich mit Wirkstoffverstärkern immunisieren lassen
Berlin (dpa/ND). Die Bundesregierung hat eine Woche vor dem Start der Massenimpfung gegen Schweinegrippe Vorwürfe einer Zwei-Klassen-Medizin bei der Aktion entschieden zurückgewiesen. Lediglich Soldaten, Bundespolizisten und Krisenstabs-Mitarbeiter erhielten Impfstoff ohne Wirkstoffverstärker – aber nicht, weil dieser weniger Nebenwirkungen hervorrufe, sondern wegen eines schon vor Aufkommen der Schweinegrippe geschlossenen Vertrags. Bundesweit begann gestern die Auslieferung der ersten Dosen des Schweinegrippe-Impfstoffs mit den strittigen Verstärkerstoffen.
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm erklärte die Tatsache der unterschiedlichen Impfstoffe mit einem Rahmenvertrag mit dem US- Hersteller Baxter International für den Fall, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Pandemie feststellt. Dieser Vertrag sei bereits am 14. Oktober 2008 geschlossen worden. Über die Art des Stoffs oder Wirkstoffverstärker sei dabei nichts vereinbart worden, teilte auch der Sprecher des Verteidigungsministeriums mit. Zuständig war das Koblenzer Beschaffungsamt.
Laut Wilhelm bekämen Regierungsmitglieder – wenn sie wollen – beim Hausarzt denselben Impfstoff mit Wirkstoffverstärker wie der Rest der Bevölkerung. Auch Kanzlerin Angela Merkel werde mit ihrem Hausarzt sprechen. Wenn dieser zur Impfung rate, werde sie sich mit dem entsprechenden Serum Pandemrix impfen lassen. Nachdem die WHO im Juni den Pandemie-Fall ausgerufen hatte, habe Baxter mit der Entwicklung von Celvapan begonnen, sagte Regierungssprecher Wilhelm. Pandemrix sei hingegen von den Ländern geordert worden, die für den Infektionsschutz der Bevölkerung zuständig sind.
»Wenn nun ausgerechnet die Regierung und die sie beratenden Gremien einen anderen, vermeintlich sichereren Impfstoff erhalten – den Baxter-Impfstoff, der ohne verstärkende Zusätze hergestellt wurde –, ruft das gelinde gesagt Irritationen hervor. Dadurch werden noch mehr Menschen von einer Impfung abgehalten«, erklärte die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Martina Bunge (LINKE). Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, sagte, zweierlei Impfstoffe seien das falsche Signal. »Das zeugt von wenig Fingerspitzengefühl.« Grünen-Chef Cem Özdemir warf der Regierung einen Informations-GAU vor.
Keine Unterschiede bei der Ausgabe des Impfstoffes wird es zwischen Privat- und gesetzlich Versicherten geben. »Privatversicherte bekommen dasselbe wie alle«, sagte der Sprecher des Verbands der privaten Krankenversicherung, Stefan Reker.
Angesichts des Wirbels um die unterschiedlichen Präparate betonten Regierungssprecher Wilhelm und der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Klaus Vater, der Impfstoff für die Mehrheit habe Vorteile. Er sei in größerer Menge zu produzieren und wirke breiter. Celvapan müsse – anders als bei Pandemrix zunächst vorgesehen – zudem zweimal geimpft werden. Letzte Woche hatte das Paul-Ehrlich-Institut berichtet, es könnten bei Wirkstoffverstärkern leicht gesteigerte Impfreaktionen auftreten – im schlimmsten Fall aber nur eine kurze Fieberreaktion. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte in n-tv: »Ich will weder den einen noch den anderen Impfstoff haben, ich möchte an überhaupt keiner Impfung teilnehmen. Es mag auch für eine solche Massenimpfung sehr, sehr gute Gründe geben, aber es ist immer noch die Freiheit des Einzelnen, ob man sich nun impfen lässt oder nicht.«
Pünktlich um 7.00 Uhr Montagmorgen wurden nach Angaben des Pharmaherstellers GlaxoSmithKline (GSK) die ersten von 50 Millionen bestellten Impfdosen für die Bevölkerung ausgeliefert. Alle Bundesländer hätten gemäß Bevölkerungszahl Impfstoffe bestellt. Beim Transport ist laut GSK wichtig, dass der Impfstoff bei Temperaturen zwischen zwei und acht Grad Celsius lagert. Sicherungssysteme auf den Paketen sollen gewährleisten, dass die Kühltemperatur eingehalten wird.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.