Die Quelle ist versiegt
Die Mitarbeiter des Fürther Versandhändlers stehen vor dem Nichts
Nach dem endgültigen Aus für das Versandhaus Quelle sind Frustration und Angst bei den Mitarbeitern groß.
Andreas Täuber kämpft mit den Tränen. Seit 20 Jahren arbeitet er für den Versandhändler Quelle, nach dessen endgültigem Aus steht der 40-Jährige jetzt vor dem gefühlten Nichts. Schon seine Ausbildung hat er bei dem Fürther Unternehmen gemacht, dann nebenher studiert und sich bis zur Mitarbeiterführung hochgearbeitet. Seine Mundwinkel zucken vor Wut und Enttäuschung. »Es ist schlimm, dass so ein Unternehmen pleitegeht«, sagt Täuber am Dienstag fassungslos auf dem Quelle-Gelände in Nürnberg. »Dabei sind uns die Kunden doch treu geblieben.«
Selbst die gekündigten Mitarbeiter hätten bis zum Schluss die Daumen gedrückt, dass es doch noch eine Zukunft für den Versandhändler gibt. »Obwohl die Zeichen schon nicht so gut waren«, sagt Täuber. »Jetzt muss man sich mit Sachen wie arbeitslos melden und bewerben beschäftigen. Dinge, über die man sich vorher gar keine Gedanken gemacht hat«, erklärt er. Dabei hatte er doch für sich so viele Chancen bei Quelle gesehen.
Kalt erwischt vom Quelle-Aus wurde am Dienstagmorgen auch Katharina Almasi. »Meine Kollegin hat es mir eben gesagt«, erzählt die 58-Jährige. Seit 19 Jahren arbeitet sie in Nürnberg für den Versandhändler, packt dort die zurückgesendeten Waren aus. Bis zuletzt hatte sie gehofft, das Schlimmste könnte doch noch abgewendet werden. »Es ist schlecht. Ganz schlimm!« Kurz vor der Rente glaubt sie nicht, wieder einen Job zu finden. »Nein, das kannst du vergessen. Selbst die Jungen bekommen ja schon nichts mehr«, sagt sie und schüttelt mit dem Kopf.
Hinter den geschlossenen Türen sei die Stimmung mies, erzählt ein junger Quelle-Mitarbeiter. »Bei vielen Älteren herrscht die blanke Existenzangst«, berichtet der 25-Jährige. »Auf der anderen Seite sind die Leute aber auch erleichtert, weil der Druck weg ist.« Nach der monatelangen Hängepartie um Rettung oder Aus wüssten die Mitarbeiter jetzt, woran sie seien, und könnten sich auf die Veränderungen einstellen. Der Informatikkaufmann selbst hatte seine Kündigung schon am vergangenen Freitag bekommen. »Ich gehöre zur zweiten Entlassungswelle«, erzählt er verbittert.
Nach der neuerlichen Hiobs-Botschaft macht sich auch bei den Mitarbeitern des Quelle-Kaufhauses Verunsicherung breit. Zwar hatten sie schon im August erfahren, dass ihr Haus geschlossen wird. »Wir wissen jetzt aber nicht, wann genau Schluss ist«, sagt Verkäuferin Angelika Will. Eigentlich sollte das Kaufhaus bis Ende Dezember geöffnet sein. »Jetzt könnten schon Ende Oktober die Türen schließen«, erklärt die 39-Jährige. Seit 24 Jahren arbeitet sie für Quelle, hat ihre Ausbildung dort gemacht. »Ich habe seit August schon 30 Bewerbungen geschrieben«, sagt sie. Aber im Verkauf sei momentan nur schwer etwas zu bekommen. Doch ein wenig Zuversicht ist ihr geblieben: »Ich bin noch verhältnismäßig jung, ich werde schon etwas finden«, sagt sie entschlossen.
Geschichte
Über Jahrzehnte gehörte er quasi zur Grundausstattung eines deutschen Haushalts: Der dicke Quelle-Katalog. Quelle zählte zu den bekanntesten Marken in Deutschland. Doch in diesem Jahrzehnt geriet Quelle ins Schlingern. Zu spät setzte man auf das Internet.
Gegründet wurde Quelle vom Fürther Kaufmann Gustav Schickedanz (1895-1977). Als »Geburtstag« gilt der 26. Oktober 1927, an dem das Unternehmen in das Handelsregister am Amtsgericht Fürth eingetragen wurde. Quelle wuchs schnell und begann auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu florieren.
1999 fusionierte Quelle mit Karstadt zum KarstadtQuelle-Konzern, der später in Arcandor umbenannt wurde. Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz, die Tochter von Gustav und Grete Schickedanz, wurde Großaktionärin bei Arcandor. Das Versandhaus arbeitete unter dem Dach der Primondo-Gruppe, in der der Arcandor-Konzern seine Versandaktivitäten bündelte. Der Jahresumsatz lag zuletzt bei 2,9 Milliarden Euro. Primondo/Quelle beschäftigte in Deutschland rund 10 500 Menschen. Am 9. Juni stellte die Arcandor AG Insolvenzantrag für sich und unter anderem die Töchter Karstadt, Primondo und Quelle. dpa/ND
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