Koalitionsvertrag auf dem Prüfstand
Parteitage von SPD und CDU entscheiden über Koalitionsvertrag / Proteste vor SPD-Tagung
Die Delegierten des SPD-Parteitages sahen sich bei der Ankunft vor der Erfurter Messehalle noch einmal mit einer Gruppe Demonstranten konfrontiert. »Jetzt reicht's« lautete die Parole des Protests, zu dem eine »Bürgerinitiative Politikwechsel in Thüringen« aufgerufen hatte. Thüringen habe rot-rot-grün gewählt, heißt es in dem Aufruf. Falls der Parteitag die schwarz-rote Koalition bestätige, würden Matschie & Co. der abgewählten CDU und ihrem Regierungsapparat wieder zu einer Mehrheit und zum Posten der Ministerpräsidentin verhelfen, betonte die Sprecherin der Bürgerinitiative, Steffi Richter. Statt sozialer und demokratischer Politik werde Thüringens SPD eine konservative Politik absichern, die vielen Menschen schon seit Jahren die Chance auf ein gutes Leben verbaue.
SPD-Landeschef Christoph Matschie sieht das naturgemäß völlig anders. Die SPD dürfe keine Koalition aus Prinzip eingehen, betonte er. Die CDU-Kandidatin für das Ministerpräsidentenamt, Christine Lieberknecht, habe zugesagt, dass ihre Partei einen politischen Wandel will, betonte er. Die CDU sei auch bereit gewesen, viele Positionen der SPD zu übernehmen. Er habe nie geglaubt, dass sie so weit geht. Matschie räumte ein, Verständnis dafür zu haben, dass Mitglieder überrascht und enttäuscht gewesen seien. Das habe aber wohl an der mangelnden Kommunikation gelegen, das gestehe er selbstkritisch ein. Inakzeptabel sei aber der Ton, in dem die Auseinandersetzung von den Gegnern der Koalition geführt wurde. Wer solle denn einer Partei vertrauen, die so mit sich umgeht. Er sei auch dafür, dass die SPD soziale Kompetenz haben muss, betonte der SPD-Landeschef, warnte aber zugleich davor, voreilig den Schluss zu ziehen, die SPD müsse nach Links rücken.
Dass beide Parteitage erst in den späten Nachmittagsstunden begannen, gilt vielen als Indiz dafür, dass lange Debatten vermieden werden sollten. Ein Blick in den Vertrag macht deutlich, dass er auf rutschendem Sand steht und viel Anlass für Diskussionen bietet. Allein das Postulat, Thüringen solle bis 2019 finanziell auf eigenen Füßen stehen, wird von Kennern der Haushaltslage als Wunschdenken bewertet. Angesichts eines Schuldenberges von 15,7 Milliarden Euro und der geplanten Neuverschuldung von 500 Millionen Euro ist das schlicht unmöglich.
Trotz vieler Ungereimtheiten in dem Vertrag ist der Widerstand der SPD-Basis offenbar erlahmt. Dass die Gegner der schwarz-roten Koalition unter den derzeit noch 4100 Thüringer Sozialdemokraten 1000 Unterschriften für ihr Mitgliederbegehren gegen die Koalition gesammelt haben, macht das Kräfteverhältnis in der Partei deutlich.
In mehreren Regionalkonferenzen hatte Matschie in der vergangen Woche das Parteivolk auf Linie gebracht. Presseberichten zufolge hatten die Koalitionsgegner daran gar nicht erst teilgenommen. Sie ließen aber wissen, dass sie das Votum des Parteitages respektieren wollen. Was als großer Sturm auf einer turbulenten Basiskonferenz begonnen hatte, endet offenbar als mildes Lüftchen.
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