Erst braun, dann gelb oder schwarz
Viele ehemalige Nazis wechselten nach 1945 nahtlos in den NRW-Landtag, belegt eine Studie
Wie steht es um die Nazi-Vergangenheit derjenigen Politiker, die nach Kriegsende dem nordrhein-westfälischen Landtag angehörten? Wie viele von ihnen waren Mitglied der NSDAP und ihr nahe stehender Organisationen? Diese Fragen sind nun, 64 Jahre nach der Niederwerfung des Nazi-Regimes, zum ersten Mal systematisch untersucht worden. Den Auftrag für die Studie »Nahtloser Übergang in neue Führungspositionen – Alte Nazis in den nordrhein-westfälischen Landtagsfraktionen von CDU und FDP« gab indes nicht Landtagspräsidentin Regina van Dinther, sondern Rüdiger Sagel, der einzige LINKEN-Abgeordnete im Landesparlament.
Die Zusammensetzung der bundesdeutschen Länderparlamente in der Nachkriegszeit sei niemals näher beleuchtet worden, schreibt Sagel im Vorwort der Studie. »Nahezu alle bis heute dazu vorliegenden Informationen beruhen ausschließlich auf den persönlichen Angaben der Abgeordneten, die in den biografischen Handbüchern der Landtage veröffentlicht sind.« Wenig überraschend: Die Abgeordneten neigten dazu, sich selbst einen Persilschein auszustellen. Doch die Untersuchung zum »braunen Erbe« des NRW-Landtages kommt zu weniger weißgewaschenen Ergebnissen: 41 NRW-Parlamentarier seien nachweislich Mitglied der NSDAP, der SA oder der SS gewesen. Von den neun ermittelten SS-Angehörigen dienten drei in der Waffen-SS, fünf saßen später für die CDU, vier für die FDP im Landtag von NRW. Von Jugendirrtümern könne dabei meist keine Rede sein, führt die Studie aus: Durchschnittlich 24 Jahre alt waren die späteren Politiker, als sie der Nazi-Bewegung beitraten.
Die Studie erstellt hat der promovierte Historiker Michael Carlo Klepsch. Der Düsseldorfer ist Autor eines Buches über Picassos Zeit im von den Nazis besetzten Paris, das die liberal-bürgerliche »Neue Zürcher Zeitung« als »sorgfältig recherchiert« lobte. Für »Nahtloser Übergang« untersuchte Klepsch die Biografien aller CDU-, FDP- und Zentrums-Abgeordneten, die im Mai 1945 mindestens 18 Jahre alt waren. Insgesamt gerieten 482 NRW-Politiker in sein Blickfeld. Seine Studie stützt Klepsch vor allem auf die NSDAP-Mitgliedskartei und Akten des Bundesarchivs Berlin-Lichterfelde. In einem historischen Rückblick bezeichnet Klepsch die NRW-FDP als »Sammelbecken von Altnazis«. Er untersucht zudem den »Übergang von Braun zu Schwarz« in der NRW-CDU.
Eine besondere Würdigung erfährt der FDP-Landesvorsitzende der Jahre 1947 bis 1956, Friedrich Middelhauve. Der hatte »eine Reihe ehemals prominenter Nationalsozialisten um sich versammelt«, zitiert Klepsch aus einem 1952 erschienen Artikel der durchaus nicht linken Tageszeitung »Die Welt«. Unter diesen NS-Prominenten waren der Rundfunkjournalist Hans Fritzsche und Werner Naumann, zuvor Staatssekretär in Goebbels Propagandaministerium. Klepsch führt aus: »Naumann, der als einer der letzten Getreuen Hitlers im Berliner Bunker der Reichskanzlei ausgeharrt hatte und aufgrund dessen in Hitlers Testament zum Nachfolger von Joseph Goebbels als Reichspropagandaminister benannt wurde, machte keinen Hehl daraus, dass er und seine Kameraden sich weiterhin als überzeugte Nationalsozialisten verstanden.«
Für Middelhauve war das offenbar kein Grund, die Alt-Nazis nicht in das politische Leben zurückzuholen. Erst die britische Besatzungsmacht vereitelte diese Pläne. Bald darauf wurde Middelhauve Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident. Im Rathaus seiner Heimatstadt Leverkusen erinnert eine Bronzebüste an den »bedeutenden Mitbürger«.
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