Erster Aufschlag beim Protest der Opelaner
Die Beschäftigten der deutschen Opel-Werke machten ihrem Ärger über GM mit Warnstreiks Luft – Eindrücke aus Eisenach und Rüsselsheim
Im Thüringer Opelwerk wurden am Donnerstag um elf Uhr die Bänder abgeschaltet. »Wir kämpfen für den Erhalt von Opel Eisenach«, hieß es auf Transparenten, unter denen sich rund 500 Beschäftigte um 5 vor 12 vor dem Werktor versammelten. Gemeinsam mit Mitarbeitern benachbarter Zulieferfirmen, Eisenacher Geschäftsleuten und Handwerkern, machten sie ihrer Empörung über die Entscheidung von General Motors (GM), Opel zu behalten, Luft. Die Androhung der Insolvenz sei blanke Erpressung, die man sich nicht gefallen lasse, schimpfte ein Arbeiter. Die Belegschaft werde sich davon aber nicht beeindrucken lassen, beteuerte ein anderer.
»Wir sind zornig, wütend und verbittert«, betonte Betriebsratschef Harald Lieske. »Wir wären bereit gewesen, uns unsere Zukunft etwas kosten zu lassen«, sagte Lieske mit Bezug auf den mit Magna vereinbarten Lohnverzicht. »Jetzt kann uns GM unsere Zukunft kosten.« Der Betriebsratschef verwies darauf, dass das inzwischen in allen GM-Werken eingesetzte Produktionssystem in Eisenach entwickelt wurde. So gesehen sei Eisenach die Mutter des Konzerns und nicht die Tochter. Die Mitarbeiter hätten alles gegeben, jetzt solle ihnen alles genommen werden, so Lieske. Und fügte fast trotzig an: »Opel Eisenach muss gerettet werden und wird leben, das ist meine feste Überzeugung.«
Politik nach Gutsherrenart
Der neue Thüringer Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) warf dem GM-Verwaltungsrat unter lautem Beifall Verantwortungslosigkeit vor. Das Magna-Konzept sei aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt worden, betonte er und wertete dies als »Politik nach Gutsherrenart«, die zurückgewiesen werden müsse. Die Herren im Verwaltungsrat wüssten, was sie nicht wollten, hätten aber kein Konzept für die Zukunft. Der Minister forderte von der US-Regierung nachdrücklich, dafür zu sorgen, dass GM ein verlässlicher Partner werde. Schließlich sei der amerikanische Staat Haupteigentümer des Autokonzerns. Der müsse endlich ein klares Zukunftskonzept auf den Tisch legen, das als Verhandlungsbasis dienen könne.
Als skandalös wertete Uwe Laubach, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Eisenach-Suhl, das Eingeständnis von Verwaltungsratschef Edward Whitacre, von Autos nichts zu verstehen. Und verwies auf eine Aussage von GM-Vize Jon Smith, die Entscheidung, Opel nicht an Magna zu verkaufen, sei ein »Münzwurf« gewesen. Das unterstreiche, dass Weiterwursteln unter GM für Opel keine Lösung sei. Mit Nachdruck betonte er: »Wir lehnen es ab, mit GM über Arbeitnehmerbeiträge zu verhandeln.« Laubachs Versicherung »Unsere Nerven können sie rauben, unser Rückgrat brechen sie nicht« quittierten die Demonstranten mit dem Ruf: »Wir sind das Volk.«
Opel sei der Motor für die Stadt, betonte Oberbürgermeister Matthias Doth (SPD). Er verwies darauf, dass Eisenach nach 1990 schon einmal Deindustrialisierung und die Schließung des Wartburg-Werkes erlebte. Sich davon zu erholen, habe 19 Jahre gedauert. Man wolle das kein zweites Mal durchmachen. Für die Geschäftsleute, Handwerker und Hoteliers wäre die Schließung eine Katastrophe. Für Doth ist klar: »Die wollen Euch behalten, weil Ihr das Know-how habt, das den Amerikanern fehlt.«
Schulterschluss mit Koch und Kanzlerin
Bei der Kundgebung von rund 10 000 Opel-Beschäftigten im hessischen Rüsselsheim war breiter Schulterschluss mit Gewerkschaft und führenden Akteuren der Politik angesagt – frei nach dem Motto: Wir kennen keine Parteien mehr, sondern nur noch Opelaner.
Nicole May, Vorsitzende der IG Metall-Vertrauensleute im Rüsselsheimer Opelwerk, bemängelte, dass das US-Management des Mutterkonzerns durch starre Vorgaben die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft von Opel behindert habe. Die GM-Lenker hätten die Opelaner »jahrelang in Produktion und Engineering gebremst«, den Einsatz von Arbeitskraft und Know-how für moderne Technologien behindert. Dies gelte für den Export mittlerer und kleiner Fahrzeugen in die USA ebenso wie in der Frage leichter Bauweise oder Strategien zur CO2-Reduzierung.
Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz stimmte die Belegschaft auf Zusammenhalt und Ausdauer in der neu aufgeflammten Auseinandersetzung ein und appellierte insbesondere an hochqualifizierte Kräfte im konzerneigenen Rüsselsheimer Technologiezentrum, an Bord zu bleiben und sich nicht anderswo einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Die kurzfristig anberaumte Protestversammlung sei »der erste Aufschlag«, um Entlassungen und Werksschließungen zu verhindern und die Arbeitsplätze längerfristig zu sichern.
Der Betriebsratsvorsitzende lobte das Engagement der Bundeskanzlerin und des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU). Zwischen ihm und Angela Merkel bestehe ein »Höchstmaß an Übereinstimmung und Schulterschluss«, sagte Franz, der am Mittwoch kurzfristig zu einem Gespräch im Berliner Kanzleramt war: »Man kann sich aufeinander verlassen.« Kochs Auftritt auf einer IG-Metall-Veranstaltung bezeichnete er als »nicht gerade alltäglichen« Beitrag zur »Überwindung traditioneller Schubladen«.
Verständnis für Frust und Verunsicherung
»Klaus Franz hat Komplimente verdient«, erwiderte Roland Koch. Der Ministerpräsident lobte die »Besonnenheit« und Opferbereitschaft der Opel-Beschäftigten im Zusammenhang mit dem geplatzten Magna-Deal. Sie sollten weiterhin loyal und geschlossen ihrem Betriebsratschef folgen. »Das GM-Management soll ja nicht glauben, deutsche Arbeitnehmer ließen sich als Geisel für Gewinnmaximierung missbrauchen«, so der CDU-Politiker.
Rüsselsheims Oberbürgermeister Stefan Gieltowski zeigte Verständnis für Frust, Verärgerung und Verunsicherung der Opelaner. Er erinnerte daran, dass nahezu 100 000 Arbeitsplätze in der Region direkt oder indirekt vom Rüsselsheimer Opelwerk abhingen.
»GM hau ab«, hatte ein Opelaner auf ein Plakat gepinselt, das in Anlehnung an moderne Graffiti-Kunst dem US-Mutterkonzern den Stinkefinger zeigte und vor dem Denkmal des Firmengründers Adam Opel als beliebtes Fotoobjekt diente. Selbst angefertigte Plakate und Transparente waren auf dieser Kundgebung allerdings rar.
Während die meisten versammelten Opelaner eine Mischung aus Frust und Abwartehaltung an den Tag legten sowie den Rednern ohne Überschwang Beifall spendeten, hob sich die hessische Linkspartei deutlich ab. Es sei ein »schwerer Fehler, dass die Bundes- und Landesregierung 4,5 Milliarden Euro zugesagt haben, ohne sich im Gegenzug dafür eine Beteiligung und Mitspracherechte zu sichern«, kritisierte ein Flugblatt, das LINKE-Aktivisten verteilten: »Mit einer staatlichen Beteiligung könnten ganz andere zukunftsfähige Wege beschritten und Opel zu einem sozialen und ökologischen Mobilitätskonzern umgebaut werden.« Öffentliche Gelder müssen dafür eingesetzt werden, Opel unter die gemeinsame Kontrolle von Bund, Ländern und Belegschaften zu stellen, um den Erhalt des Unternehmens mit allen Standorten und Arbeitsplätzen zu sichern. »Die Bundesregierung sollte sich dabei nicht scheuen, General Motors und die US-Regierung darauf hinzuweisen, dass in Deutschland nach Artikel 14, Absatz 3 des Grundgesetzes eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist.«
Auf solche Ideen, selbst auf den von Franz noch im Frühjahr in Beisein der Kanzlerin gemachten Vorschlag einer Staatsbeteiligung mit Sperrminorität wie beim Volkswagen-Konzern, ging aber kein einziger der Redner in Rüsselsheim ein.
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