Kapitalismus punktet nicht mehr
Umfragen: Mauerfall war »nicht der überwältigende Sieg für die freie Marktwirtschaft«
London/Washington (AFP/ND). Laut einer am Montag veröffentlichten Studie im Auftrag der britischen BBC waren nur 11 Prozent der Befragten in 27 Ländern der Ansicht, dass der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form gut funktioniert. Lediglich in den USA (25 Prozent) und Pakistan (21 Prozent) war mehr als jeder Fünfte mit der aktuellen Wirtschaftsordnung zufrieden. Unter dem Eindruck der schlimmsten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren glaubten 51 Prozent der Befragten, dass die Märkte stärker reguliert werden müssen. Im Schnitt 23 Prozent meinten, dass eine vollkommen neue Wirtschaftsordnung geschaffen werden müsse.
»Es scheint, dass der Fall der Berliner Mauer nicht der überwältigende Sieg für die freie Marktwirtschaft gewesen ist, für den er damals gehalten wurde«, sagte Doug Miller, Chef der Umfrageinstituts GlobeScan, das gemeinsam mit der Universität von Maryland rund 29 000 Menschen befragte. »Einige Elemente des Sozialismus, etwa die gleiche Verteilung des Wohlstands durch die Regierung, sprechen viele Leute auf der Welt weiter an«, sagte Steven Kull von der Universität von Maryland.
In 15 der 27 untersuchten Länder spricht sich laut der Umfrage eine Mehrheit für eine stärkere direkte Kontrolle von Unternehmen durch den Staat aus. Mehrheiten in 22 Ländern wollen demnach, dass die Regierungen den Wohlstand gleichmäßiger verteilen. Den Zusammenbruch der Sowjetunion begrüßten in der Rückschau 54 Prozent der Befragten in allen Ländern.
Dagegen halten im Schnitt 22 Prozent den Untergang der sozialistischen Supermacht für eine schlechte Sache, 24 Prozent gaben keine Antwort.
Bereits in der vergangenen Woche hatte eine Studie darauf verwiesen, dass bürgerliche Demokratie und Kapitalismus in Mittel- und Osteuropa weniger hoch im Kurs stehen als im Jahr 1991. Aus einer Untersuchung des US-Meinungsforschungsinstituts Pew Research Centers ging hervor, dass beispielsweise in der Ukraine nur knapp jeder Dritte dem Mehrparteiensystem positiv gegenübersteht. 1991 waren es noch 72 Prozent. Während vor 18 Jahren noch 91 Prozent der Ostdeutschen den Wandel zur bürgerlichen Demokratie guthießen, sind es der Umfrage zufolge heute 85 Prozent. In Bulgarien sank die Zustimmung zur bürgerlichen Demokratie in dem Zeitraum um 24 Prozentpunkte, in Ungarn um 18 und in Russland um acht Prozentpunkte. In Polen stieg sie dagegen leicht um vier Prozentpunkte auf 70 Prozent.
Auch die Zustimmung zum Kapitalismus ist meist rückläufig: In Ungarn sank sie um 34 Prozentpunkte auf 46 Prozent, in Ostdeutschland um vier Prozentpunkte auf 82 Prozent. Während mehr als 70 Prozent Ungarn angaben, dass sich ihre wirtschaftliche Situation im Vergleich zum Sozialismus verschlechtert habe, waren fast jeder zweite Pole und Tscheche vom Gegenteil überzeugt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.